Premium Mobilfunk Wie die Telekomindustrie die Bundesregierung über den Tisch zog
![Interne Dokumente zeigen, dass die Bundesregierung in Person des damaligen Verkehrs- und Digitalministers eine härtere Regulierung bewusst opferte. Quelle: Imago, Dpa [M]](/images/andreas-scheuer-und-die-mobilfunkkonzerne/28996456/2-format2020.png)
Interne Dokumente zeigen, dass die Bundesregierung in Person des damaligen Verkehrs- und Digitalministers eine härtere Regulierung bewusst opferte.
Hamburg Der deutsche Mobilfunkmarkt gleicht einem Kuchen, den man verblüffend gerecht verteilt hat. Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland (O2) beanspruchen jeweils rund ein Drittel. Die Stücke wachsen oder schrumpfen – wie derzeit bei Vodafone – zwar mitunter. Doch grundsätzlich blieb die magenta-rot-blaue Eintracht in den vergangenen Jahren erhalten. Eine Folge: Die Mobilfunkgebühren sind in Deutschland vergleichsweise hoch – und dürften in diesem Jahr sogar noch steigen.
Für mehr Wettbewerb und tendenziell sinkende Preise könnten kleine Anbieter wie 1&1 oder Freenet sorgen, die über keine eigene Infrastruktur verfügen und deswegen auf Zugang zu den Netzen der großen Drei angewiesen sind. Damit die Telekomkonzerne ihnen dabei nicht die Bedingungen diktieren, sind strenge Regeln nötig.
Doch interne Dokumente aus der Bundesnetzagentur und den Ministerien für Wirtschaft und Verkehr, die dem Handelsblatt vorliegen, zeigen, dass Bundesregierung und Behörden genau dies verhindert haben – offenbar auf Grundlage eines fragwürdigen Deals vor wenigen Jahren.
Damals, 2018, sollten kleinere Anbieter mit einer Neuauflage der sogenannten Diensteanbieterverpflichtung gestärkt werden. Die großen Drei wären so im Zuge der Vergabe der Funklizenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G im Jahr 2019 abermals dazu gezwungen worden, ihre Netze auch anderen Anbietern zur Verfügung zu stellen. Und zwar zu regulierten Großhandelspreisen wie es auch in anderen Sektoren üblich ist. Doch statt einer Verpflichtung wurde letztlich nur ein „Verhandlungsgebot“ in den Teilnahmebedingungen verankert.
Ein stumpfes Schwert, wie sich bis heute zeigt. Freenet & Co. klagen, dass sie 5G-Tarife – wenn überhaupt – nur zu überhöhten Preisen weiterverkaufen dürfen. Digitalpolitiker der aktuellen Bundesregierung halten das Instrument für gescheitert.
Die internen Dokumente zeugen von einem fragwürdigen Selbstverständnis der damals Verantwortlichen. Sie zeigen, dass die Bundesregierung in Person des damaligen Verkehrs- und Digitalministers Andreas Scheuer (CSU) eine härtere Regulierung bewusst opferte und Druck auf die eigentlich unabhängige Bundesnetzagentur ausübte.
Im Gegenzug für den laxen Umgang erhoffte sich Scheuer offenbar mehr Mobilfunkmasten in der Provinz. Doch dieser Teil des Deals, der zum Teil schon Ende 2020 fällig war, wurde bis heute nicht wie versprochen eingelöst. Ein Lehrstück in Sachen politischer Gegengeschäfte und effektivem Lobbying.
Kontrollanrufe aus Berlin
Erste Konturen des Arrangements offenbarten sich den Dokumenten zufolge Anfang 2018. Damals war in Vorlagen der Netzagentur (BNetzA) bereits von der „Erwägung“ die Rede, eine Diensteanbieterverpflichtung zum Wohle des Wettbewerbs im Regelwerk der 5G-Auktion festzusetzen. Im Januar wurde darüber auch der politisch besetzte Beirat der Behörde schriftlich informiert. Der Präsident der Netzagentur, seinerzeit hieß er Jochen Homann, unterzeichnete persönlich.
Auch das Bundeskartellamt sprach sich gegenüber der Agentur dafür aus. Endkunden würden „in Form von Qualitätsverbesserungen, niedrigeren Preisen und besseren vertraglichen Konditionen“ von einer Diensteanbieterverpflichtung profitieren, hieß es in einer Stellungnahme.

Nur vermeintlich unabhängig?
Im Bundesverkehrsministerium löste Homanns Vorstoß prompt eine Gegenreaktion aus. Einer internen Mail vom 23. Januar 2018 zufolge telefonierte der Staatssekretär Guido Beermann umgehend mit dem Netzagentur-Präsidenten. Dessen Behörde untersteht zwar eigentlich dem Bundeswirtschaftsminister, damals Peter Altmaier (CDU), die Fachaufsicht für die Telekomthemen aber obliegt dem für Digitales zuständigen Verkehrsminister.
Homann sicherte Scheuer denn auch devot zu, die Vorlage „insgesamt zurückzuziehen“. Man wollte sich „zeitnah“ treffen, um die Versorgungsauflagen „einvernehmlich“ abzustimmen, hieß es weiter. Noch am selben Tag ließ Homann die Idee kassieren – vorerst.
Das Verkehrsministerium forderte die Schonung der Netzbetreiber offenbar, um ihnen im Gegenzug Konzessionen wie das Schließen von zusätzlichen Funklöchern abzuringen. Beteiligte erinnern sich, dass Scheuer sich auf einem wohl inszenierten „Mobilfunkgipfel“ als Rächer der Provinz präsentieren wollte. Nicht nur Ballungsgebieten, wo sich Funkmasten für die Betreiber besonders rentieren, sondern auch abgelegenen Dörfern wollte der Bayer zuverlässigere Netze bescheren. Was nicht zuletzt in seiner Heimat gut ankommt.
Doch Homann und seine Beamten lenkten zwar verbal ein, arbeiteten aber offenbar intern weiter an ihrem Vorhaben. E-Mails zeigen, dass es in den folgenden Monaten zwischen Regulierungsbehörde und den Leuten des Ministers munter hin- und herging.
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Das Ministerium wollte seinen nun für den Sommer geplanten Mobilfunkgipfel und die „Gespräche über Lösungen zur Schließung der Funklöcher“ durch die Vorstöße aus Bonn nicht „atmosphärisch“ belasten oder „erschweren“, wie es das Haus in einem Sprechzettel formulierte. Es gehe darum „Anreize“ zu schaffen, damit die Netzbetreiber „freiwillige“ Ausbauzusagen geben.

Der ehemalige CSU-Verkehrs- und Digitalminister wollte auf dem Mobilfunkgipfel glänzen.
Die Diensteanbieterverpflichtung werde von Telekom & Co. jedoch als „erhebliche Belastung für Investitionen in die Netze“ kritisiert. So wurde im Laufe des Jahres ein semantischer Kompromiss ersonnen: Statt einer Verpflichtung tauchte nun mitunter eine „Diensteanbieterregelung“ in den Dokumenten auf, die weniger verbindlich ist.
Das Ministerium beförderte so indirekt die Position, die etwa Lobbyisten und Führungskräfte von Vodafone und Telefónica im Laufe des Jahres noch mehrfach formulieren würden. Der Spin hatte sich festgesetzt.
Der Kanzlerin wurde ein „industriepolitisches Desaster“ prophezeit
So warnte Vodafones damaliger Deutschlandchef Hannes Ametsreiter in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im November vor einer Diensteanbieterverpflichtung als „gefährliches Einfallstor für amerikanische Internetgiganten, was weitere Investitionen in den Markt komplett infrage stellen würde“.
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In einem gemeinsamen Brief mit seinen Branchenkollegen Dirk Wössner (Telekom) und Markus Haas (Telefónica Deutschland) prophezeite Ametsreiter der Kanzlerin wenig später gar ein „industriepolitisches Desaster“.
Die Netzbetreiber sträubten sich – und drohten zwischenzeitlich damit, den Prozess zu torpedieren. Vodafone kündigte in einer E-Mail an das Verkehrsministerium etwa an, die Teilnahme an Scheuers Mobilfunkgipfel abzusagen, sollte das Ministerium nicht „zeitnahe“ einen „akzeptablen Text“ vorlegen. Die bisherigen Vorschläge für die gemeinsame Gipfelerklärung waren den Düsseldorfern offenbar zu teuer respektive nicht „finanzierbar“. Auf Anfrage bestätigt Vodafone, dass Scheuers Gipfel damals fast gescheitert wäre, die Diensteanbieterverpflichtung habe in diesem Zusammenhang aber keine Rolle gespielt.

Der damalige Vodafone-Chef traktierte Kanzlerin Merkel mit Briefen.
Bemerkenswert ist die Nonchalance, mit der von Berlin aus Druck auf die Bonner Netzagentur ausgeübt wurde. Ihr Präsident Homann hatte das Abschlussdokument von Scheuers Mobilfunkgipfel zuvor demonstrativ nicht unterzeichnet – was dort offenbar für erheblichen Unmut sorgte.
So ist in einem Sprechzettel für Andreas Scheuer von Anfang Oktober 2018 gar von einem „Kontrolltermin“ bei Homann die Rede. Diesen wollte er bei einem Treffen mit seinen Ministerkollegen Helge Braun (CDU, Kanzleramt) und Peter Altmaier (CDU, Wirtschaft) vorschlagen. Altmaiers Haus favorisierte damals noch eine strenge Fassung der geplanten Verpflichtung.
Scheuer wollte nun Tempo machen. Er warb dem Dokument zufolge unter anderem für eine bessere Versorgung auf dem Land und eine gemeinsame Position der Regierung. „Unseren ‚Optimierungskatalog‘“ wollte er mit Braun und Altmaier „schnellstmöglich der BNetzA übergeben“ – bevor diese die finalen 5G-Vergabebedingungen vorlegt.
Einfluss „in erheblichem Umfang“
Schon qua EU-Recht ist dies ein Fauxpas, da Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit nationaler Regulierungsbehörden gewährleisten müssen. Dies gilt erst recht, wenn man – wie die Bundesregierung bei der Deutschen Telekom – maßgebliche Anteile am größten nationalen Anbieter hält.
Kein Netz
500
Funklöcher
sollten eigentlich bis Ende 2022 geschlossen werden. In der Wirklichkeit wurden es nicht einmal die Hälfte davon.
Erst im September 2021 gab der Europäische Gerichtshof einer Klage der EU-Kommission statt, die moniert hatte, dass auf die BNetzA zu viel politischer Einfluss bei der Regulierung der Energiemärkte ausgeübt wurde. Und das Bundesverwaltungsgericht sah es wenig später in Sachen Telekommunikation ähnlich. Anlass war eine Klage des Kleinanbieters EWE Tel, der sich 2020 vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die 5G-Vergabebedingungen gestemmt hatte. Dort wurde das Ansinnen zunächst abgeschmettert.
In einer Mitteilung zu ihrer Entscheidung, der Revision der EWE Tel stattzugeben, schrieben die Bundesrichter nun von Hinweisen darauf, dass das Verkehrsministerium „in erheblichem Umfang“ versucht habe, „insbesondere auf die Festlegung der Versorgungspflichten Einfluss zu nehmen“.
Weiter ist von einer „Absprache“ des Ministeriums mit den drei Netzbetreibern die Rede. Möglicherweise sei in diesem Rahmen eine „Schließung von Versorgungslücken“ im Tausch gegen „investitionsfördernde“ Bedingungen wie eine laschere Diensteanbieterverpflichtung zugesagt worden.
Ein scharfes Urteil, in dem vor allem die Bundesnetzagentur schlecht aussah. Nun muss das Kölner Gericht bald erneut entscheiden – und könnte damit das Auktionsergebnis insgesamt infrage stellen.
Die Beteiligten halten sich mit Blick auf das laufende Verfahren derzeit weitestgehend zurück. Das Bundesverkehrsministerium wollte sich auf Handelsblatt-Anfrage nicht konkret zu den Vorwürfen äußern. Man habe „als unabhängige Regulierungsbehörde aufgrund eines objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens entschieden“, teilt die Netzagentur lediglich mit. Vodafone bestreitet, dass es eine Absprache des Ministeriums mit den Netzbetreibern gab; Telekom und Telefónica äußern sich nicht.
Mobilfunkanbieter erhöhen die Preise
Fest steht, dass Scheuer und die Telekom-Konzerne sich am Ende durchsetzten: Die Bundesnetzagentur verzichtete auf eine harte Verpflichtung.
Die Konzerne hielten ihren Teil der Vereinbarung bis zum Fristende im Dezember 2022 jedoch nicht ein. Von den 500 sogenannten „weißen Flecken“, also Landstrichen, die ohne ausreichende Mobilfunkversorgung auskommen müssen, war bis zum Jahreswechsel weniger als die Hälfte geschlossen.
Auch auf wichtigen Bahnstrecken können sich Kunden bislang nicht überall auf stabilen Empfang verlassen. Von einer Versorgung von 99 Prozent der Haushalte mit schnellem Internet (LTE), die man Minister Scheuer bei seinem Gipfel für das Jahresende 2020 zugesagt hatte, kann bis heute nicht die Rede sein. Einzig die Telekom erreicht eigenen Angaben zufolge mittlerweile rund 99,6 Prozent der Bevölkerung mit einer Geschwindigkeit vom mindestens 100 Megabit pro Sekunde.
Der ganze Prozess ist eine Farce und einer stolzen Volkswirtschaft wie Deutschland unwürdig. Transatel-CEO Jacques Bonifay
Die großen Drei würden den Zukunftsmarkt 5G weitestgehend für sich abschotten, klagen Wettbewerber wie Freenet oder die französische Transatel. Die „Verhandlungen“ nach neuem Recht würden oft nur simuliert, sagte Transatel-CEO Jacques Bonifay dem Handelsblatt. Er würde seine Dienste gern auch in Deutschland anbieten.
Doch die Gespräche etwa mit O2 blieben bislang – trotz Einschreitens der Bundesnetzagentur – ohne tragfähiges Ergebnis. „Der ganze Prozess ist eine Farce und einer stolzen Volkswirtschaft wie Deutschland unwürdig“, sagt Bonifay.
Die Netzbetreiber wollen indes keinen Mangel an Wettbewerb erkennen. Telefónica teilt etwa mit, das Verhandlungsgebot „partnerschaftlich und konstruktiv“ auszuüben. Die Telekom warnt indes, dass eine Diensteanbieterverpflichtung „ein massiver Einschnitt mit gravierenden Folgen für den Netzausbau“ wäre.
Freenet-Konkurrent 1&1 hatte die 5G-Auktion derweil dazu genutzt, selbst mitzubieten und ein eigenes Netz aufzubauen. Chef und Gründer Ralph Dommermuth will sich damit auch vom Gutdünken von Regulierern wie Konkurrenten freischwimmen.
1&1 profitiert noch bis Mitte des kommenden Jahrzehnts von einer Sonderauflage der EU, die dem Unternehmen den Zugang zum Netz von Telefónica sichert. Ohne sie würde sein Geschäftsmodell danach zu weiten Teilen in sich zusammenfallen.
Mehrere Digitalexperten der Ampelkoalition, wie der FDP-Mann Maximilian Funke-Kaiser, wollen auch darüber hinaus wieder für mehr Wettbewerb sorgen. Sie halten die Preise in Deutschland für zu hoch – gerade angesichts von löchrigen Netzen.
Erst im Januar hatte Telefónica angekündigt, im Windschatten der Inflation bis zu zehn Prozent aufschlagen zu wollen. Telekom und Vodafone, heißt es in der Branche, dürften im Laufe des Jahres nachziehen.
Funke-Kaiser stellte im Handelsblatt kürzlich ein Revival der Diensteanbieterverpflichtung für kommende Frequenzauktionen in Aussicht. Es wäre eine der seltenen Gelegenheiten dazu, die Regeln des Spiels zu ändern.
Mehr: Funklöcher sollen für Mobilfunkbetreiber Konsequenzen haben
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Ach diese alten Themen - sind kein Pfifferling wert - vielleicht will man einfach etwas Bayern Bashing betreiben, schließlich sind ja Landtagswahlen in Bayern - und nachdem das HB so dunkel rot-grün, links aufgestellt ist, muss man natürlich was von sich geben nach dem Motto: "Mit Dreck werfen - wird schon was hängen bleiben".
Für mich sind solche Dokumente schwer nachvollziehbar, warum kommen diese jetzt erst, wo doch Herr Scheuer kein Ministeramt mehr begleitet?
Hat damals die Opposition geschlafen? Oder hatten die inkompetenten Grünen keine Ahnung?
Inzwischen regieren SPD-Grüne-FDP - Warum wurden noch keine Änderungen durchgeführt?
Dieser ehm. Minister ist keinen Schuß Pulver wert. Für den sind die Bürger ein Stück "Nichts". Maut mit Profisionen am Arsch, Diesel Skandale und nun wird dieses bekannt, der Verbraucher bezahlt es der Herr eh. Minister bekommt sein Handy von der Partei. Um es landwirtsch. aus zu drücken nur Mist .
Die Merkel Regierungen haben viele Zukunftsthemen liegen lassen und anderes schlecht umgesetzt. Die Folgen spüren wir jetzt. Leider macht die Scholz Regierung wenig Hoffnung auf Besserung.