Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Hassrede Realitätscheck für Moderationspläne von Elon Musk: Landgericht Frankfurt weist Twitter in die Schranken

Ein deutsches Gericht verlangt, dass Twitter mehr tut, um falsche und beleidigende Inhalte zu löschen. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben – auch für andere Social-Media-Plattformen.
14.12.2022 - 12:52 Uhr Kommentieren
Mit einem Verifizierungsbutton per Abo will Musk auch Hassrede und Bots auf Twitter effektiver bekämpfen. Quelle: IMAGO/NurPhoto
Tesla-Chef Elon Musk

Mit einem Verifizierungsbutton per Abo will Musk auch Hassrede und Bots auf Twitter effektiver bekämpfen.

(Foto: IMAGO/NurPhoto)

Frankfurt Twitter-Besitzer Elon Musk bezeichnet sich als „Absolutist der Redefreiheit“. Die Moderation von Inhalten mit Beleidigungen, Verleumdungen und Hass will er auf ein Minimum reduzieren, die Kontrolle sollen größtenteils Algorithmen übernehmen. Diese Politik wird derzeit indes an mehreren Orten einem Realitätscheck unterzogen – am Mittwoch auch vor dem Landgericht Frankfurt.

Dort klagte der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte Michael Blume in einem Eilverfahren gegen Twitter. Der Wissenschaftler verlangte vom Onlinedienst, Tweets mit verleumderischen Behauptungen zu löschen, auch sinngemäße Inhalte. Ein Nutzer hatte ihm unter anderem unterstellt, er führe eine Beziehung mit einer Minderjährigen.

Das Landgericht gab Blume am Mittwoch überwiegend recht. Die Kammer entschied, dass Betroffene von Twitter die Löschung falscher oder ehrverletzender Inhalte verlangen können. Der Konzern müsse handeln, sobald er von einer Rechtsverletzung Kenntnis erlange. Das gelte auch bei abweichenden Formulierungen mit einem „identischen Äußerungskern“ – ein Novum in der Rechtsprechung.

Die Entscheidung (Aktenzeichen 2-03O325/22) könnte weitreichende Folgen für die Moderationspraxis haben – nicht nur für Twitter: Der Aufwand dürfte erheblich größer werden. „Social-Media-Unternehmen müssen angezeigte Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts prüfen und unterlassen“, sagte die Vorsitzende Richterin Ina Frost. „So können Betroffene effektiven Rechtsschutz erlangen.“

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Parteien können vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in Berufung gehen. Und es spricht einiges dafür, dass es so kommt: Es handelt sich um eine Grundsatzfrage, sowohl für Twitter als auch für Blume, der mit Unterstützung der gemeinnützigen Organisation Hate Aid gegen die Tweets vorgeht.

Twitter ignoriert Meldungen

Twitter glaube offenbar, dass das Gesetz nur Handlungsempfehlung sei, erklärte die Organisation. Schon länger seien systemische Defizite bei der Moderation von Inhalten zu beobachten, die die Betroffenen hilflos zurückließen. „Wir sind deswegen bereit, so lange gegen die Plattform zu klagen, bis sie sich endlich zuverlässig an deutsche und europäische Gesetze hält.“

Im aktuellen Fall argumentiert der Antisemitismusbeauftragte Blume, dass er auf Twitter massiven Angriffen ausgesetzt sei. Ein Nutzer unterstellte ihm in einer Reihe von Tweets „Nähe zur Pädophilie“. Auch von einem Seitensprung und antisemitischen Skandalen sei die Rede gewesen. Insgesamt 46 Tweets beanstandete er über das Meldesystem des Unternehmens, zunächst allein, dann „mit anwaltlicher Unterstützung“.

Twitter reagierte darauf spät. Das Unternehmen habe nur drei der Tweets gelöscht und das Nutzerkonto, von dem die Äußerungen ursprünglich ausgingen, erst nach mehreren Tagen vollständig gesperrt, erklärte das Landgericht. Dabei seien die ehrenrührigen Behauptungen unwahr – das Unternehmen habe somit seine Prüfungspflicht verletzt.

Die Konsequenzen, die das Landgericht daraus zieht, sind weitreichend. Die Kammer verpflichtete Twitter, neben den beanstandeten Tweets auch Äußerungen zu löschen, „die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen“. Das geht über Retweets hinaus.

>> Lesen Sie außerdem: Elon Musk ist nicht mehr der reichste Mensch der Welt – neuer Spitzenreiter ist ein Franzose

Urteile des Bundesgerichtshofs und Bundesverfassungsgerichts deuteten bereits in diese Richtung, erklärte die Vorsitzende Richterin Frost – diese Vorgaben habe die Kammer nun konsequent umgesetzt.

Bei Verstößen drohen Twitter pro Fall nun 250.000 Euro Ordnungsgeld oder ersatzweise bis zu sechs Monate Ordnungshaft für die verantwortliche Geschäftsführung des in Irland angesiedelten Twitter International.

Moderatoren entlassen, Beratungsgremium aufgelöst

Twitter muss künftig wohl einen größeren Aufwand betreiben, um Inhalte zu moderieren. In der mündlichen Verhandlung im November hatte der Konzern daher argumentiert, dass eine solche Entscheidung zu einer unzumutbaren Prüfpflicht führe. Das Unternehmen stelle „als Plattform für Echtzeitkommunikation einen bedeutenden Beitrag zum Meinungsaustausch und damit zur Meinungsfreiheit im virtuellen Raum“, wie es in einem Schriftsatz hieß.

Wie der Konzern das Urteil einschätzt, war bei der Verkündung nicht zu erfahren: Weder ein eigener Repräsentant noch ein Anwalt der Kanzlei White & Case, die den Social-Media-Konzern vertritt, waren dort. Die deutsche Pressestelle hat das Unternehmen nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg aufgelöst.

Nur an einem Punkt wies das Landgericht die Klage ab. Nutzer dürften verbreiten, dass das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles Blume in seiner Liste der größten Antisemiten weltweit erwähnt habe – ein Vorwurf, den der Zentralrat der Juden damals als „absurd“ bezeichnete. Gegen diese Aussage müsse sich der Antisemitismusbeauftragte „im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen“.

>> Lesen Sie dazu: Twitter löst Beratungsgremium zu Hassrede auf

Die genauen Folgen sind derzeit nicht absehbar, zumal das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Der Fall zeigt allerdings, wie die Politik von Twitter-Eigner Musk in Deutschland mit dem Recht in Konflikt geraten kann.

Seit dem Abschluss der Übernahme hat das Unternehmen einen Großteil des Personals entlassen, auch in den Moderationsteams. Das Management gibt nun die Devise aus, anstößige Inhalte so weit wie möglich mit Algorithmen zu identifizieren.

Der Unternehmer, der auch Chef von Tesla und SpaceX ist und als zweitreichster Mensch der Welt gilt, hat zudem eine „Generalamnestie“ für einen Großteil der bis dato gesperrten Nutzerkonten angekündigt. Und erst jüngst hat der Konzern das Beratungsgremium aufgelöst, das beim Umgang mit Hassrede, Suizid und anderen problematischen Inhalten helfen soll.

Die Diskussion dürfte weitergehen. Für den Rechtsanwalt Chan-jo Jun, der Blume vertritt, geht es in diesem Verfahren nicht allein um die Interessen seines Mandanten. „Das übergreifende Ziel ist zu prägen, wie Diskurse und Meinungsbildung in unserer Demokratie stattfinden“, sagte er dem Handelsblatt vor der Urteilsverkündung. Mit Blick auf die konfrontativen, oft brutalen Auseinandersetzungen in den USA will er eine „Amerikanisierung“ verhindern.

„Die genauen Spielregen müssen wir über Musterprozesse erarbeiten“, sagt Jun, der bereits die Grünen-Politikerin Renate Künast gegen Facebook vertreten hat, letztlich erfolgreich – sie verlangte vom Konzern, ein ihr zugeschriebenes, falsches Zitat zu löschen. „Unser Rechtssystem wird auch ein Twitter disziplinieren können“, ist der Jurist überzeugt. „Es wird nur lange dauern.“

Mehr: EU-Kommissar Breton droht Twitter-Chef Musk mit Lizenzentzug

Startseite
Mehr zu: Hassrede - Realitätscheck für Moderationspläne von Elon Musk: Landgericht Frankfurt weist Twitter in die Schranken
0 Kommentare zu "Hassrede: Realitätscheck für Moderationspläne von Elon Musk: Landgericht Frankfurt weist Twitter in die Schranken"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%