Premium Konjunktur Bauträger stoppen Projekte aufgrund zu hoher Kosten: „Die Stimmung kippt“

Weil Fachkräfte fehlen, dürften die Lohnkosten bei Bauprojekten steigen. Das treibt die Preise zusätzlich.
Düsseldorf Die rasant steigenden Preise für Energie und Baumaterial versetzen die Baubranche in Alarmstimmung: Allein im zweiten Quartal haben die Preise für Wohn-, Büro- und Betriebsgebäude nach Daten des Statistischen Bundesamts im Vergleich zum Vorjahr zwischen 17,6 und 19,4 Prozent zugelegt.
Und ein Ende ist nicht in Sicht: Nach einer Studie der Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (PwC), die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt, müssen sich Bauherren noch mindestens in den kommenden zwei Jahren auf weiter steigende Preise einstellen. „Wir gehen davon aus, dass die Baupreise für Immobilien in den kommenden beiden Jahren um mehr als 20 Prozent steigen werden“, sagt Harald Heim, Partner und Immobilienspezialist bei PwC.
Das lässt die Nachfrage nach neuen Bauprojekten auf breiter Front einbrechen. So klagte der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) vor einigen Tagen darüber, dass der Auftragseingang der Branche im Mai rund 7,5 Prozent unter Vorjahr lag – Tendenz weiter fallend.
Der Bauboom der vergangenen Jahre kommt damit vorerst zu einem Ende. Vor allem während der Coronapandemie hatte der Bau die Konjunktur noch gestützt, während zahlreiche andere Sektoren unter den Infektionsschutzmaßnahmen litten. Dabei haben viele Baufirmen nach wie vor mit Lieferengpässen und fehlenden Mitarbeitern zu kämpfen.
Neubau: Preise für Immobilien steigen – die Nachfrage sinkt
Zusätzlich treiben steigende Kosten für Kraftstoffe die Preise, die etwa für den Betrieb von Baufahrzeugen und Lkw benötigt werden. „Am Bau kippt die Stimmung“, bestätigt Felix Leiss, Forscher am Münchener Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo.
Erste Bauherren reagieren darauf bereits mit Baustopps. So hat etwa die Vereinigte Gmünder Wohnungsbaugesellschaft (VGW) Ende Juli angekündigt, vorerst keine neuen Projekte durchzuführen – und folgt damit einem allgemeinen Branchentrend.
So sagt auch der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) einen massiven Einbruch beim Wohnungsbau in Deutschland voraus: Rund 70 Prozent der befragten Firmen gaben bei einer Umfrage unter den rund 1600 Mitgliedern des Verbands an, sie würden die Hälfte der geplanten Vorhaben im aktuellen Umfeld nicht mehr umsetzen.
Hochgerechnet bedeute das einen Rückgang zwischen 50.000 und 75.000 neuen Wohnungen. Die meisten Unternehmen stellten ihre geplanten Projekte zurück oder hätten sie bereits ganz aufgegeben, so die Beobachtung des Verbands. „Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche“, erklärte BFW-Präsident Dirk Salewski.
Hohe Kosten für Baustoffe: Preise für Bauprojekte verdoppeln sich
Wer dennoch baut, stellt sich schon jetzt auf explodierende Kosten ein: So rechnet etwa das bayerische Verkehrsministerium damit, dass sich die Kosten für den Bau der zweiten S-Bahn-Strecke in München von rund 3,9 auf 7,2 Milliarden Euro nahezu verdoppeln und dass sich die Inbetriebnahme von 2028 auf 2037 verzögern könnte.
Auch Brückenbauprojekte sind betroffen. Um ein Jahr soll sich etwa die Sanierung der Schwelmetalbrücke bei Wuppertal verzögern, teilte die zuständige Baufirma kürzlich mit. Grund dafür sei unter anderem ein Unfall, in dessen Folge ein großer Teil der Brücke erneuert werden müsse. Die Firma verwies aber auch auf die anhaltenden Lieferengpässe bei Stahl, Kies, Beton und Dämmstoffen.
>> Lesen Sie auch: Sieben Risiken, die Sie vor dem Hauskauf kennen sollten
Wie viele andere Branchen kämpft auch das Baugewerbe schon seit Monaten damit, dass wichtige Vormaterialien entweder teuer oder überhaupt sehr schwierig zu bekommen sind. So lag etwa der Preis für Bitumen, das etwa für die Asphaltierung von Straßen benötigt wird, laut Zahlen des ZDB im Juni knapp 70 Prozent über dem Vorjahreswert.
Gleichzeitig stieg der Preis für Stahlbeton um 54 Prozent, während sich Stahlprofile sogar um gut 87 Prozent verteuerten. Dabei handelt es sich um Durchschnittspreise – das heißt, je nach Region kann es noch deutlich teurer sein.
Den Grund für die rasant gestiegenen Kosten sieht PwC-Berater Heim in der gegenläufigen Entwicklung der Baubranche und ihrer Zuliefererindustrien in der Coronakrise. „Während die Produktion von Baustoffen in der Pandemie zurückgefahren wurde, lief ein Großteil der Baustellentätigkeiten weiter“, so der Immobilienexperte.
Die daraus resultierende Rohstoffknappheit, Lieferengpässe sowie eine gestiegene Nachfrage nach Holz, Stahl, Dämm- und Kunststoffen in den USA und China machten insbesondere in Deutschland Baumaterialien teurer.
Steigende Preise und hohe Bauzinsen: Projekte müssen neu berechnet werden
In der Folge werden selbst laufende Bauprojekte auf den Prüfstand gestellt. So registrierte etwa das Münchener Ifo-Institut zuletzt in einer Umfrage, deren Ergebnisse am Donnerstag veröffentlicht wurden, ungewöhnlich viele Stornierungen. So waren im Juli 11,5 Prozent der im Wohnungsbau tätigen Unternehmen von Stornierungen betroffen. Im Tiefbau waren es im Juni neun Prozent.
Als Erklärung nennt Ifo-Forscher Leiss einerseits höhere Preise, andererseits steigende Bauzinsen. Im Wohnungsbau komme die unsichere Fördersituation dazu.: „Die explodierenden Baukosten, höheren Zinsen und schlechteren Fördermöglichkeiten stellen mehr und mehr Projekte infrage.“ Bereits seit April sei eine Stornierungswelle zu beobachten.

Wegen gestiegener Kosten wurde die geplante Sanierung der Burg vorerst abgesagt.
Ein Beispiel dafür ist die millionenschwere Sanierung der Burg Hohenzollern bei Bisingen in Baden-Württemberg, die Ende Juli von der Burgverwaltung überraschend gestoppt wurde. Ursprünglich war geplant, den Bau zeitweise auszusetzen, weil die Kosten von fünf auf 19 Millionen Euro gestiegen waren.
Doch nun stehe das Projekt vor dem Aus, berichtete vor einigen Tagen der „Schwarzwälder Bote“. Fertiggestellt werden soll demnach lediglich noch der Aufzug, der die marode Auffahrt entlasten soll. Ob die restlichen fünf der ursprünglich sechs geplanten Bauabschnitte noch fertiggestellt werden, stehe in den Sternen.
Mit derartigen Baustopps reagieren viele Bauherren auch darauf, dass Bauunternehmen mittlerweile ihre Verträge an die volatile Situation auf den Rohstoffmärkten angepasst haben. Nachdem die Kosten wegen der Coronakrise nach oben geklettert waren, gingen viele Baufirmen schon dazu über, sogenannte Preisgleitklauseln in ihre Verträge zu integrieren. Durch den Ukrainekrieg hat sich die Situation noch einmal verschärft. Denn neben den Materialkosten steigen nun auch die Energiepreise – und die Inflation.
Die Autoren der PwC-Studie haben insgesamt sechs Faktoren identifiziert, die die Preise in den kommenden zwei Jahren hoch halten werden. Die größten Preistreiber im Überblick:
1. Material
Ob Stahl, Beton, Kunst- oder Dämmstoffe: Die globalen Verwerfungen bei den Lieferkettenproblemen, die schon in der Coronapandemie zahlreiche Industrien erfasst hatten, treffen nun verstärkt auch die Baubranche. In der Coronakrise liefen Bauarbeiten im Gegensatz zu weiten Teilen der Industrieproduktion relativ ungehindert weiter. Bei gleichzeitig gestörten Lieferketten wurden Baumaterialien zur Mangelware. Die Kosten für Baumaterialien bleiben damit auf absehbare Zeit hoch – denn auch die Bauzulieferer sind ihrerseits von Engpässen bei Vormaterialien betroffen.
2. Energie
Die hohen Energiepreise, insbesondere für Gas, treiben die Preise für Baumaterialien zusätzlich nach oben. Bereits seit einem Jahr steigen die Preise wegen der hohen Nachfrage. Seit Anfang des Jahres ist zudem die CO2-Abgabe in Kraft, die beispielsweise Kraftstoffe verteuert. Seit Beginn des Ukrainekriegs hat sich die angespannte Lage auf dem Energiemarkt weiter verschärft, ist hierzulande sowohl das Erdgas- als auch das Erdölangebot eingeschränkt. Dass sich die Situation entspannt, ist kurzfristig nicht zu erwarten.

Zahlreiche Bauprojekte dürften sich wegen anhaltender Lieferengpässe verzögern.
3. Fachkräftemangel
Schon seit Jahren klagt die Baubranche über fehlende Fachkräfte. Doch in den kommenden Jahren könnte sich das Problem weiter verschärfen. So geht etwa der Industrie- und Handelskammertag in Nordrhein-Westfalen davon aus, dass sich der Fachkräftemangel auf dem Bau bis 2030 auf 20 Prozent der bestehenden Stellen ausweiten könnte. Das dürfte die Löhne im Bau nach oben treiben, schreiben die Autoren der PwC-Studie. Schon jetzt sei dieser Trend zu beobachten – verstärkt werde er durch die Inflation, die ihrerseits die Lohnerwartungen der Beschäftigten weiter anheizen dürfte.
4. Inflation
Neben höheren Löhnen und Materialkosten treiben auch staatliche Eingriffe in Deutschland die Preise im Bau nach oben. Die PwC-Studie nennt hier vor allem die Einführung der CO2-Abgabe und die Rücknahme der Mehrwertsteuersenkung. Diese hatte die Regierung im Jahr 2020 erlassen, als sich die Konjunktur während der Coronakrise abkühlte.
5. Regulierung
Zusätzliche Kosten erwarten die Unternehmen auch durch verschiedene Vorhaben der Bundesregierung. So dürften mit Blick auf die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP die Anforderungen an nachhaltiges Bauen steigen, was die Investitionskosten treibt. Hinzu kommen internationale Vorgaben wie die EU-Taxonomie, wegen der viele Projekte mit Blick auf bestimmte ESG-Kriterien neu bewertet werden müssen.
6. Nachfrage
Trotz all dieser Faktoren rechnen die Autoren der PwC-Studie damit, dass die Nachfrage in absehbarer Zeit wieder anziehen wird. Ein Grund dafür sind die zahlreichen öffentlichen Bauvorhaben für Wohnen und Infrastruktur, die es in aller Welt gibt. So strebt etwa die Bundesregierung den Neubau von 400.000 neuen Wohnungen in Deutschland an, auch wenn die Realität zuletzt deutlich hinter diesem Ziel zurückblieb. Auch in den USA und China stehen große Infrastrukturprojekte an, die die Preise weiter anheizen dürften.
Zuletzt rechnen die Autoren der Studie auch damit, dass die derzeit auf Eis gelegten Projekte mittelfristig nachgeholt werden. „Wir gehen davon aus, dass viele Auftraggeber in den kommenden Jahren Nachholinvestitionen tätigen werden“, so die Einschätzung von Anna Prahl, PwC-Managerin im Bereich Real Estate.
Mitarbeit: Carsten Herz
Mehr: Neuer Wirtschaftsweiser fordert Sozialreform: „Der ganz große Druck steht uns noch bevor“
Erstpublikation: 11.08.22, 15:26 Uhr.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
den Rest kann man sich ja denken :-)
"Seit Anfang des Jahres ist zudem die CO2-Abgabe in Kraft, die beispielsweise Kraftstoffe verteuert. "
Die CO2 Abgabe wirkt auf alle Produkte - nicht nur auf Kraftstoffe!
Herr Knitterscheidt, die Überschrift ist unvollständig!