Premium Grundsteuer Wie der Irrsinn um die Grundsteuerreform Bürger Nerven und viel Geld kostet

Auf Hauseigentümer kommt viel zu: Neben einer komplizierten Datenerhebung steigen die Kosten im Zuge der Grundsteuerreform deutlich.
- 462 Millionen Euro Personalkosten, 2,1 Millionen Arbeitsstunden: Schon jetzt drohen Finanzämter wegen der Grundsteuerreform zu kollabieren. Wie Eigentümer für das bürokratische Monster aufkommen müssen.
- Viele Ausnahmen sorgen bei der Grundsteuer für Verwirrung. Lesen Sie hier zehn Punkte, die Ihnen bei der Grundsteuererklärung helfen.
- Auch Ifo-Chef Clemens Fuest sieht die Grundsteuerreform als „unnötig kompliziert“. Welche Chance die Reform dennoch bietet, lesen Sie hier im Interview.
Zunächst freute sich Heinz Gerhard (Name geändert) noch. Die elektronische Grundsteuererklärung gelang ihm besser, als er es nach den Schilderungen anderer Steuerzahler vermutet hätte. Doch dann folgte das Drama: Gerhard hatte alle Daten für seine Altbauwohnung in einem Mehrfamilienhaus in zentraler Lage in Heidelberg eingetragen und wollte noch schnell die Höhe seiner künftigen Grundsteuer ausrechnen. Ergebnis: Statt 111,86 Euro im Jahr würden es in Zukunft 1175,19 Euro sein.
Auch wenn das noch nicht das letzte Wort, sondern nur eine Annäherung ist: „Eine Verzehnfachung? Das fände ich unverschämt“, sagt Gerhard. Der Grund für den Ärger: Seit Anfang Juli müssen alle Grundstückseigentümer in Deutschland Daten über ihren Besitz an die Finanzämter übermitteln.
Grundsteuer: 36 Millionen Bürger sind von der Grundsteuerreform betroffen
Wie viel Grundfläche? Wie viel Wohnfläche? Gehört zur Wohnfläche ein Dachgeschoss? Hat die Treppe drei oder mehr Stufen? Oder stehen auf dem Grundstück gar Streuobstbäume? All das möchte die Finanzverwaltung bis Oktober von den Deutschen, aufgeschlüsselt auf 36 Millionen Fälle, wissen.
Das Datenkonvolut nehmen die Finanzämter dann, um daraus zusammen mit den 11.000 Kommunen im Land die neue Grundsteuer zu ermitteln. Die Prozedur geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück. Am 10. April 2018 erklärte dieses die Berechnung der Grundsteuer für verfassungswidrig, Die Richter bestellten eine neue, gerechtere Steuer – und bekamen ein bürokratisches Monster.
Wir erwarten Steuererhöhungen durch die Hintertür. Sibylle Barent Leiterin Steuer- und Finanzpolitik von Haus & Grund
Die Wut darüber wächst – dabei ahnen viele Deutsche anders als Gerhard noch gar nicht, dass es für sie teurer werden könnte, obwohl die Politik 2019 das Gegenteil versprach. „Viele Kommunen heben bereits jetzt die Grundsteuer-Hebesätze deutlich an“, sagt Sibylle Barent, Leiterin Steuer- und Finanzpolitik von Haus & Grund. „Wir erwarten Steuererhöhungen durch die Hintertür.“
Und anders als viele glauben, könnte es nicht nur für Immobilienbesitzer und Vermieter teurer werden, sondern für alle Mieter. Denn Vermieter legen die Grundsteuer nahezu vollständig auf die Mieter um. Und bei alledem ist die gesamte Reform, einst angemahnt vom Bundesverfassungsgericht, auch noch unglaublich kompliziert geraten.
Die Fallstricke der Grundsteuererklärung
Ein Ort der Wut und Verzweiflung war das Nutzerforum des amtlichen Steuerportals „Mein Elster“ schon immer. Derzeit ereignet sich dort jedoch ein ungeheurer Frustschub. Ein Steuerzahler schreibt, er habe im Januar ein Haus geerbt, dieses aber bereits im Mai wieder verkauft.
Als er sich an das zuständige Finanzamt mit der Frage gewandt habe, warum er dennoch aufgefordert wurde, eine Erklärung abzugeben, und ob dies nicht besser der jetzige Eigentümer übernehmen sollte, hieß es: Da habe er leider Pech. Die Steuer sei stichtagsbezogen. Und zum Stichtag habe ihm das Haus gehört.
Oder Elster-Nutzerin Xejin. Status: „Nun verzweifle auch ich an dem Formular.“ Konkret besitzt sie drei sogenannte Flurstücke: ein Grundstück mit Garage an Adresse A, ein Grundstück mit Einfamilienhaus an Adresse B und ein unbebautes Grundstück, ebenfalls an Adresse B.
Xejin hadert mit dem Hauptvordruck GW1 und der Anlage GW2, wo jeweils Angaben zur Lage des Grundstücks und zur Grundstücksart zu machen sind. Doch wie lassen sich dort drei verschiedene Flurstücke eingeben? Ein anderer Nutzer klärt auf: drei Grundstücke, drei Aktenzeichen, drei Feststellungserklärungen.
Doch so einfach ist es nicht. Ein weiterer Nutzer schreibt: „Willkommen im Club, das Problem mit mehreren Grundstücken und verschiedenen Lagen und Nutzungen habe ich auch, aber nur ein Aktenzeichen gemeldet bekommen.“ Auch Xejin hat nur ein Aktenzeichen.
Sie wendet sich an das Finanzamt und erfährt: Ein Informationsschreiben mit nur einem Aktenzeichen ist unzureichend. Es kommt dann ein weiteres amtliches Schreiben mit einem weiteren Aktenzeichen.

Über das Programm Elster tauschen sich Nutzer über die Berechnung der Grundfläche ihres Eigentums aus. Die ist durch die Grundsteuerreform noch komplizierter geworden.
Da eines ihrer Grundstücke auch ein Waldstück enthält, will Xejin nun in der Anlage GW2 die Fläche des Walds angeben. Nutzer Charlie24 warnt: „Nein, das wäre falsch. Ein Waldgrundstück gehört zu Land- und Forstwirtschaft und darf nur in der Anlage GW3 erfasst werden.“
Schließlich entscheidet Xejin, einfach drei Erklärungen abzuschicken: „Soll sich das Finanzamt den Kopf darüber zerbrechen.“ Da helfen auch all die Ausfüll- und Klickanleitungen oder Erklärvideos kaum, die die Bundesländer anbieten. Zur Neuberechnung der Grundsteuer muss der Eigentümer für jede „Einheit“ eine eigenständige Feststellungserklärung bei seinem Finanzamt einreichen.
„Egal, ob es um ein Einfamilienhaus geht, in dem der Eigentümer selbst wohnt, oder um eine vermietete Eigentumswohnung, alles muss einzeln deklariert werden“, erklärt Steuerberater Wolfgang Wawro vom Deutschen Steuerberaterverband (DStV).
Zudem: „Wer Grundstücke in verschiedenen Bundesländern hat, muss sich mit den unterschiedlichen Modellen befassen“, sagt Daniela Karbe-Geßler, Leiterin Steuerrecht und Steuerpolitik beim Bund der Steuerzahler. „Da kommen die Eigentümer leider nicht drum herum.“
So unterschiedlich fällt die Grundsteuer in den Bundesländern aus
Denn tatsächlich gibt es ein Modell für die neue Grundsteuer, auf das sich elf Bundesländer einigen konnten. Und dann ein jeweils anderes in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen.
Da wäre etwa der Bodenrichtwert, ein Wert für einen Quadratmeter unbebauten Bodens. Dieser Wert wird meist als Durchschnitt aus tatsächlich an einem Ort getätigten Grundstücksverkäufen abgeleitet. In den elf Ländern, die das Bundesmodell anwenden, müssen Eigentümer diesen Bodenrichtwert zum Stichtag 1. Januar 2022 in ihrer Erklärung angeben.
Zwar lassen sich die Zahlen in Datenbanken (www.bodenrichtwerte-boris.de) recherchieren – allerdings nicht für alle Bundesländer auf der gleichen Seite. Führen diese Datenbanken nicht weiter, helfen die örtlichen Gutachterausschüsse oder Landesämter für Steuern. Das aber dauert in der Regel. Insofern ist es von Vorteil in Sachen Bodenrichtwert, in Bayern oder Hamburg zu wohnen – da spielt der Richtwert nämlich für die Grundsteuererklärung anders als in den 14 anderen Ländern keine Rolle.
In Bayern zählen nur die Grundstücksgröße und die Gebäudefläche, die das Finanzamt mit bestimmten „Äquivalenzzahlen“ multipliziert. In Hamburg kommt es auf Wohnfläche und Lage an. Das alles gilt aber nicht für Grundstücke, die zu mindestens 80 Prozent betrieblichen oder öffentlichen Zwecken dienen.
Da ist alles noch komplizierter. In einem konkreten Fall aus Nordrhein-Westfalen geht es um drei Gemarkungen: ein vermietetes Reihenhaus, ein zum Grundstück gehörender Weg, der von allen Parteien nutzbar, aber nicht öffentlich ist, sowie ein Garagenplatz abseits des Hauses. „Mir schwirrt ein wenig der Kopf“, klagt Elster-Forumsnutzer marexel. Ob die jeweilige Zuordnung als Mietwohngrundstück, als unbebautes Grundstück und als sonstiges bebautes Grundstück stimme?
Ein Nutzer meint, der Privatweg und das Garagengrundstück müssten anteilig zugeordnet werden, da dies keine eigenen wirtschaftlichen Einheiten seien. Bestehe denn Alleineigentum, oder habe jeder Eigentümer eines Reihenhauses einen Miteigentumsanteil? Und: Gibt es eigene Flurstücknummern?
Wenn alles in der gleichen „Bodenrichtwertzone“ liege, seien „alle Flurstücke in Zeile 11 Feld 19 über erste Fläche zu schlüsseln“. Solche verworrenen Dialoge finden sich im Elster-Forum zuhauf.
Grundsteuererklärung: Am meisten Frust kommt auf, wenn Daten fehlen
Hohes Frustpotenzial ergibt sich für Eigentümer auch, wenn bestimmte Daten nicht vorliegen. Beispiel: die Grundfläche von Gebäuden. „Solche Dinge sind nicht im Grundbuch festgehalten“, weiß Steuerberater Wawro. „Wer keine Unterlagen hat, etwa den Kaufvertrag oder andere Dokumente, der muss den Zollstock in die Hand nehmen und die Nutzfläche ermitteln.“ „Messzwänge dürften sich vor allem bei Objekten ergeben, die nicht gerade frisch gebaut wurden“, erklärt Karbe-Geßler vom Steuerzahlerbund.
Im Zweifel müssten Vordrucke gewälzt werden, was alles auszumessen sei. Zur Wohnfläche gehören zum Beispiel anteilig Balkone, Terrassen oder Loggien oder ungeheizte Wintergärten und Schwimmbäder. Nicht zur Wohnfläche gehören Keller- und Heizungsräume, Waschküche, Garagen, Spitzböden, Flächen unter Dachschrägen mit einer Höhe von weniger als einem Meter oder Treppen. Die aber nur, wenn sie mehr als drei Stufen haben.
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https://www.niedersachsen.de/download/182149/Nds._MBl._Nr._11_2022_vom_21.03.2022_S._325-391.pdf
Laut Karbe-Geßler können auch Ersatzunterlagen herangezogen werden, zum Beispiel die Hausratversicherung: „Hier sind oft die Quadratmeter angegeben. Dann nimmt man diesen Wert, der schon in der Vergangenheit genutzt wurde.“ Ebenfalls nicht im Grundbuchamt verzeichnet sind Angaben zum Baujahr.
Sollten diese fehlen, kann das problematisch werden. „Wenn es um alte Immobilien geht, die zum Beispiel über mehrere Generationen vererbt wurden, dann ist das Baujahr vielleicht unklar“, sagt Karbe-Geßler. Weitgehend offen sei, was geschehe, wenn das Baujahr nicht zu ermitteln und anzugeben sei.
Die Lage ist so komplex, dass sich viele Eigentümerinnen und Eigentümer an ihre Steuerberater wenden. Wo das nächste Ungemach droht. Das verdeutlicht die Einschätzung einer renommierten rheinischen Steueranwaltskanzlei. Die zeigt, dass die Grundsteuerreform zunächst vor allem auch Beratern gute Geschäfte beschert.
Wählen Sie „unbebautes Grundstück“ aus, wenn sich auf Ihrem Grundstück keine benutzbaren Gebäude befinden. Ein Gebäude ist benutzbar, wenn es bezugsfertig ist und somit den künftigen Bewohnerinnen bzw. Bewohnern oder sonstigen Benutzerinnen bzw. Benutzern die bestimmungsgemäße Nutzung nach objektiven Gesichtspunkten zugemutet werden kann. Eine Bauabnahme ist nicht notwendig. Grundstücke mit zerstörten oder dem Verfall preisgegebenen Gebäuden gelten als unbebaut. Ein Gebäude ist dem Verfall preisgegeben, wenn das Gebäude nicht mehr dauerhaft benutzt werden kann
Einfamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die eine Wohnung enthalten und kein Wohnungseigentum sind. Ein Grundstück ist auch dann ein Einfamilienhaus, wenn die Wohnfläche mindestens 50 Prozent der gesamten Fläche beträgt und neben der Wohnung weitere Räume nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, welche die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigen.
Zweifamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die zwei Wohnungen enthalten und kein Wohnungseigentum sind. Ein Grundstück ist auch dann ein Zweifamilienhaus, wenn die Wohnfläche mindestens 50 Prozent der gesamten Fläche beträgt und neben den Wohnungen weitere Räume nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, welche die Eigenart als Zweifamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigen.
Mietwohngrundstücke sind Grundstücke, die zu mehr als 80 Prozent der Wohn- und Nutzfläche Wohnzwecken dienen und nicht Ein- und Zweifamilienhäuser oder Wohnungseigentum sind. Das gilt auch, wenn sich die Wohnungen in unterschiedlichen Gebäuden befinden. Beispiel: Mehrstöckiges Haus mit vermieteten Wohnungen.
Wohnungseigentum ist das Sondereigentum an einer Wohnung und der dazugehörende Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum. Beispiel: Eigentumswohnung in einem Wohnhaus. Das Sondereigentum kann auch an Räumen in einem noch nicht errichteten Gebäude eingeräumt werden. In einem solchen Fall liegt ein unbebautes Grundstück vor.
Teileigentum ist das Sondereigentum an Räumen eines Gebäudes, die nicht zu Wohnzwecken genutzt werden, und der dazugehörende Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum. Bsp: Vermietete Arztpraxis in einem Gebäude
Geschäftsgrundstücke sind Grundstücke, die zu mehr als 80 Prozent der Wohn- und Nutzfläche eigenen oder fremden betrieblichen oder öffentlichen Zwecken dienen und nicht Teileigentum sind. Bsp: Autowerkstatt
Gemischt genutzte Grundstücke sind Grundstücke, die teilweise zu Wohnzwecken und teilweise zu anderen Zwecken (z. B. eigenen oder fremden betrieblichen oder öffentlichen
Zwecken) genutzt werden nicht Ein- und Zweifamilienhäuser, Mietwohngrundstücke, Wohnungseigentum, Teileigentum oder Geschäftsgrundstücke sind. Bsp. Wohngebäude mit Laden im Erdgeschoss.
Sonstige bebaute Grundstücke sind Grundstücke, die keine Wohn- und Geschäftsgrundstücke, gemischt genutzte Grundstücke oder Teileigentum sind und weder Wohnzwecken noch eigenen oder fremden betrieblichen oder öffentlichen Zwecken dienen, z. B. Clubhäuser, Vereinshäuser, Bootshäuser, studentische Verbindungshäuser, Turnhallen, Schützenhallen und Jagdhütten.
Tatsächlich braucht jedes einzelne Flurstück, also auch wenn es nicht bebaut oder nie bebaubar und damit nahezu wertlos ist, eine eigene Erklärung. Jede dieser Erklärungen unterliegt für alle, die sich Steuerberater zu Hilfe holen, einzeln der Gebührenordnung. Wer also drei oder vier kleinere Grundstücke besitzt, kann schnell mehr für die Steuerberatung ausgeben, als die Flächen wert sind.
Denn: Egal, wie groß oder klein oder werthaltig das Grundstück ist, es wird ein Mindestgegenstandswert von 25.000 Euro angenommen, der den Steuerzahler bei Inanspruchnahme eines Beraters laut Gebührenordnung 382,85 Euro kostet. Zuzüglich 20 Euro Telekommunikations- und Postpauschale.
Eine Berliner Steuerberaterkanzlei wirbt: „Nutzen Sie unseren Premium-Service, um Ihre Grundsteuererklärung mit dem geringstmöglichen Aufwand einzureichen!“ Und ruft 299 Euro für die Erklärung zur Erstimmobilie auf. Immerhin: Bei jeder weiteren Immobilie spart der Besitzer dann und zahlt nur noch 199 Euro.
Grundsteuerreform 2022: Weitere Mehrkosten kommen auf Eigentümer zu
Neben dem administrativen droht aber auch ein finanzielles Chaos. Das große Versprechen des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz und seiner Länderkollegen nach der Einigung auf die Reform lautete: Die Neuregelung wird am Ende aufkommensneutral sein.
Das heißt nicht, dass kein Eigentümer mehr bezahlen muss als bisher. Es heißt nur: Insgesamt soll der Staat nach der Reform nicht mehr Geld aus der Grundsteuer einnehmen als nach dem alten System, also 15 Milliarden Euro pro Jahr.
Tatsächlich lässt sich derzeit noch nicht sagen, wer genau wie belastet wird. Die Grundsteuer errechnet sich aus einer Formel, für die der je nach Kommune unterschiedlich festgelegte Hebesatz eine Rolle spielt. Diesen aber legen die Kommunen für die neue Grundsteuer erst im Jahr 2024 fest.
Bis dahin wollen sie 70 Prozent der Grundsteuererklärungen ausgewertet und auf dieser Basis ihren „Bedarf“ ermittelt haben. Dann bestimmen sie einen Hebesatz, der in etwa das bisherige Steueraufkommen bei neuer Berechnungsweise garantieren soll.
Am Ende, so die politische Zusage, kommen die Kommunen also auf die gleichen Einnahmen wie bisher – nur anders auf die Eigentümer verteilt. So weit die Theorie.
Dass das in der Praxis schon jetzt unerwünschte Folgen haben kann, zeigt nicht nur der Fall Heinz Gerhard aus Heidelberg. Auch im nicht weit entfernten Stuttgart droht Ähnliches.
Haus & Grund dient dabei ein reales Objekt als Beispiel: ein Einfamilienhaus in Stuttgart, 375 Quadratmeter Grundstücksfläche, in einer Lage mit einem Bodenrichtwert von 1720 Euro.
Belässt die Stadt Stuttgart den Hebesatz, was noch nicht klar ist, bei den derzeit geltenden 520 Prozent, würde der Eigentümer künftig mehr als 3000 Euro jährliche Grundsteuer zahlen – zehn Mal so viel wie derzeit.
Und nicht nur in Baden-Württemberg, das auf ein eigenes Grundsteuermodell setzt, sondern auch beim „Scholz-Modell“ drohen Mehrbelastungen, wie ein Beispiel aus NRW zeigt: Die Eigentümerin eines 1908 erbauten Einfamilienhauses mit einer Grundstückfläche von 855 Quadratmetern und 190 Quadratmeter Wohnfläche müsste statt 112 künftig 787 Euro an Grundsteuer zahlen, wenn der Hebesatz nicht angepasst würde.
Florian Köbler, Chef der Steuergewerkschaft, sieht die Kommunen gefordert: „Dort müssten schon längst Hochrechnungen und Vorbereitungen getroffen werden, um die Hebesätze anzupassen. Ansonsten drohen zum Teil massive Grundsteuererhöhungen“, sagt er.
Doch gerade viele kleinere Kommunen könnte das überfordern, andere eine Anpassung gar nicht wollen. Einige Städte und Gemeinden heben bereits jetzt die Hebesätze für die Grundsteuer deutlich an.
Die Gemeinde Rodgau in Hessen hat im Sommer den Hebesatz von 450 auf 700 Prozent angehoben, Wachtberg bei Bonn von 520 auf 695 Prozent in diesem Jahr. Sie könnten ihn zum 1. Januar 2025 vielleicht senken, dann aber womöglich in geringerem Umfang. „Mit der Reform der Grundsteuer wird politisch keine Veränderung des Grundsteueraufkommens verfolgt“, betont die rheinland-pfälzische Finanzministerin Doris Ahnen (SPD).
Das Ziel der „Aufkommensneutralität“ sei vom Bundesgesetzgeber als Appell an die Kommunen adressiert worden. Sie betont aber auch: „Das Recht auf Bestimmung des Hebesatzes als originäre Aufgabe der Kommunen ist allerdings Bestandteil der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.“
Am Ende sind die Steuerzahler also darauf angewiesen, dass die Kommunen das Versprechen des damaligen Finanzministers Scholz auch einlösen werden. Haus & Grund warnt deswegen: „Passt die Gemeinde ihren Hebesatz nicht der neuen Berechnungsmethode des Bundeslandes an, kann es zu massiven Grundsteuererhöhungen kommen.“
Grundsteuer: Gibt es einen Ausweg aus dem Chaos?
Lösen könnte das ganze Chaos der Verursacher: die Politik. Hinter verschlossenen Türen diskutiert sie bereits über eine Fristverlängerung für die Abgabe der Grundsteuererklärung über den 31. Oktober hinaus.
Die rheinland-pfälzische Finanzministerin Ahnen will davon zwar offiziell nichts wissen. Sie sagt: „Die bundesweite Quote beträgt circa anderthalb Monate nach Beginn der Entgegennahme der Feststellungserklärung zwischen zehn und zwölf Prozent.“ Mit Blick darauf, dass die Abgabefrist der Grundsteuererklärung noch bis zum 31. Oktober 2022 laufe, befinde sich „der Prozess auf einem guten Weg“.
Aber Steuergewerkschafter Köbler sagt schon: „Eine Fristverlängerung wird es geben – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Und auch im Umfeld des Bundesfinanzministeriums von Christian Lindner (FDP) wird nicht ausgeschlossen, dass es eine Fristverlängerung geben wird.
Offiziell bestätigen will dies aber noch niemand, denn sonst würden viele Immobilienbesitzer ihre Erklärung weiter aufschieben, so die Befürchtung. Als die Reform der Grundsteuer 2019 im Bundestag verabschiedet wurde, versprach der frühere Finanzminister Scholz: „Es wird einfacher, es wird digitalisierbar, und es wird nicht zu einer Erhöhung des Steueraufkommens kommen.“
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Drei Jahre später steht fest, dass die Politik die ersten beiden Zusagen nicht erfüllt hat. Ob zumindest das dritte Versprechen hält und es zu keiner Steuererhöhung kommt, wird sich in zwei Jahren zeigen. Der bisherige Verlauf der Reform dürfte viele Steuerzahler skeptisch stimmen.
Eigentümer sind von der Grundsteuerreform enttäuscht
Heinz Gerhard, der Mann mit der Altbauwohnung in Heidelberg, ist jedenfalls ganz schön desillusioniert. Der 53-Jährige pocht darauf, dass die Stadt Heidelberg den Hebesatz für die Grundsteuer wie versprochen senkt. „Sonst fühle ich mich von der Politik schon hinters Licht geführt.“
Dagegen wirkt eine andere amtliche Information, die Eigentümer wie Gerhard in diesen Tagen erreicht, schon fast wie Ironie. Im Rahmen des Zensus wird aktuell eine Gebäude- und Wohnungszählung in Deutschland durchgeführt.
Auch hier stehen Eigentümer in der Pflicht, Daten und Merkmale ihres Besitzes zu erfassen – zum Teil die gleichen wie für die Grundsteuer. Eine parallele Datenerhebung sei unvermeidlich, so das Ministerium: „Aus Datenschutzgründen können die Befragung des Zensus und die Erklärungsabgabe im Rahmen der Grundsteuer gegenüber dem Finanzamt nicht in einer gemeinsamen Erklärung erfolgen.“ Auch ein Austausch der abgefragten Daten untereinander sei dadurch ausgeschlossen.
Mehr: Wird die Frist für die Grundsteuererklärung wegen Problemen verlängert?
Erstpublikation: 19.08.22, 04:00 Uhr
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@Holger Thies: Genau so ist es. Andere zahlen schon seit Jahren mehr Steuern für kleinere Häuser / Grundstücke / Wohnungen. Einfach mal mit anderen vergleichen und dann in sich gehen und sich freuen, dass man evtl. tausende Euro weniger zahlen musste als viele andere Mitmenschen mit gleichen Besitztümern in diesem Land.
Ich verstehe an der Stelle unsere Medienlandschaft / Journalismus auch nicht mehr. Ständig wird gegen bestimmte Themen Stimmung gemacht, obwohl man sich selbst nie thematisch mit der Sache auseinandergesetzt hat, bzw. bestimmte Themen selber durchexerziert hat. Aber diesen Anspruch habe ich an einen seriösen Journalismus, für den eigentlich das Handelsblatt steht. Es wird wahllos eine vermeintliche Stimmung im Land aufgegriffen ob Social Media oder sonst wo, was aber mit der Realität nichts zu tun hat. Ich habe mich selbst durch die ewige negative Berichterstattung zum Thema Grundsteuerreform lange davon abhalten lassen, diese anzugehen. Da der Oktober aber immer näher rückt, musste ich mich wohl oder übel der Sache annehmen. Am Sonntag war es soweit und nach einer 3/4 Stunde war das Thema erledigt. Bis auf so manche Fragebogenlogik, die wirklich nicht sonderlich gut erklärt ist, ist es aber halbwegs gut zu befüllen. Wenn man bei manchen Punkten nicht ganz sicher ist, was einzutragen sei, so gibt es gute Erklärvideos mit deren Hilfe es auch final zu schaffen ist. Der einzige Kritikpunkt ist, warum das Amt das nicht selbst vornimmt. Denn Schließlich habe ich in meiner ersten Erklärung 2011 bereits alle Daten ans Finanzamt übermittelt. Lediglich 2-3 zusätzliche Daten mussten eingetragen werden (z.B. Grundbuchblatt, Flurstücknummer). Diese Daten hätte das Finanzamt auch woanders nachschlagen können bzw. vom Grundbuchamt abrufen können oder in Bayern aus dem Bayern.Atlas. Viel Aufregung um nichts. Da jeder der eine Wohnung, ein Haus, ein Grundstück, etc... sein Eigen nennen darf, diese Daten zur Verfügung hat. Aber an sich ein Armutszeugnis der Ämterdigitalisierung in DE. Das ist aber die einzige Kritik.
@ Redaktion: die im Artikel postulierte ver-10-fachung finde ich journalistisch sehr fahrlässig. Quelle, Belege, ...?? Wie kann man so was nur herausgeben. Stimmungsmache? Fehler in der Berechnung von Gerhard (Kommastelle bei der Fläche oder Miteigentumsanteil)?
Der Staat versucht hier, Personalkosten grossflächig auf die Bürger umzulegen.
Die Daten sind sämtlich digital verfügbar, also auch und erst recht für die Finanzverwaltung. Wie sonst sind Schreiben der Finanzverwaltung zu erklären, in denen diese Daten mitgeteilt werden und um digitale Eingabe "gebeten" wird. Geht's noch?
Ist die Finanzverwaltung doch noch analog unterwegs oder hat sie keinen schnellen Internetanschluß, oder ist sie schlicht faul?
Die Überschrift ist irreführend. Wenn jemand nach neuer Berechnung das Zehnfache an Grundsteuer leisten muss, dann ist das nicht "unverschämt", sondern gerecht. Wenn hier etwas "unverschämt" ist, dann wohl die Tatsache, dass der Eigentümer bisher viel zu wenig Steuern gezahlt hat - jedenfalls dann, wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anerkennt.
Unabhängig davon: die Erhebung der Daten ist wirklich eine Qual!
In Deutschland geht eben nichts, aber auch gar nichts einfach - und bald auch nichts mehr billig.
Mein Großvater hat unser im Krieg zerbombtes Haus weitgehend selbst wieder aufgebaut.
Nur das und ein sentimentales Heimatgefühl hindert mich noch daran, den deutschen Grund und Boden schnellstmöglich zu verlassen, da hier nichts mehr aufgebaut, sondern das Aufgebaute abgerissen wird.
@Herr Mocke
Sie haben eine romantische Vorstellung.
Fragen Sie mal beim Organisierten Verbrechen nach, da werden Immobilien im Millionenbereich (aus Schwarzgeld) bar bezahlt.
Dafür gibt es eine Sonderregelung, wenn es ein Notar beglaubigt.
@Herr Müller
1) Wenn Hamburg die Reform einkommensneutral gestaltet, dann ist dies doch zu begrüßen.
2) Viele Familien mit kleinen Kindern (und noch mehr Alleinerziehende) würden sofort mit den Einnahmen der übergroßen Anzahl von Rentnern tauschen.
Heute im Amtsblatt der Stadt Blaubeuren (Alb-Donau-Kreis. Baden-Württemberg) veröffentlicht:
Der zuständige Gutachterausschuss in Ehingen kann den Bodenrichtwert nicht vor dem 1. Oktober bekanntgeben.
Das sei aber ja kein Problem, die Bürger hätten ja dann noch den ganzen Oktober Zeit, die Steuererklärung zu erstellen.
bei mir sind es ca. 15% mehr was ich in Zukunft für die Grundsteuer wohl zahlen muss
Was stimmt hier nicht?
Wenn ich auf https://grundsteuer.de/rechner/ oder den von Haus und Grund gehe, und NRW wählen, dann bekomme ich für meine Daten eines EFH bei heutigem Hebesatz und Bodenrichtwert sogar 8€/a weniger heraus als ich bezahle.