Marie-Luise Meinhold „Zu viel ist noch hellgrün“ – Verde will die erste wirklich nachhaltige Versicherung sein

Die Unternehmerin will mit Verde im Herbst die Versicherungslizenz beantragen.
München Nachhaltigkeit ist auch in der Versicherungsbranche das Thema der Stunde. Die großen Anbieter investieren in Wind- und Solarenergie – und sprechen viel über ihre grünen Anlagen. „Doch eine wirklich nachhaltige Versicherung gibt es noch nicht“, ist Marie-Luise Meinhold überzeugt. „Da ist vieles noch hellgrün – wenn überhaupt.“
Mit ihrem Unternehmen Verde will Meinhold es besser machen. Ein erstes Angebot für Fahrräder gibt es bereits. Das Produkt heißt noch „Absicherung“ – Versicherungen dürfen erst verkauft werden, wenn eine Lizenz vorliegt. Die soll im Herbst beantragt werden.
Ab dem kommenden Frühjahr sollen dann zum Beispiel Haftpflicht-, Hausrat- und Unfallversicherungen und ab 2024 auch gewerbliche Policen dazukommen. „Wir wollen auf längere Sicht dreistellige Millionenumsätze erzielen und das Geschäft ins europäische Ausland ausweiten“, sagt Meinhold.
Verde will zum einen selbst möglichst nachhaltig arbeiten. Das Unternehmen nutzt Ökostrom, das Guthaben liegt bei der sozial-ökologischen GLS Bank, die Mitarbeiter reisen mit dem Zug oder Fahrrad.
Doch der Anspruch bezieht sich vor allem auf die Geldanlagen. Hier werden nicht nur Themen wie Waffen oder Kohle ausgeschlossen. Mit allen Anlagen soll eine positive gesellschaftliche oder ökologische Entwicklung erzielt werden.
So investierte Verde zum Beispiel in die Anleihe der französischen Region Ile-de-France. Mit dem Geld werden etwa Biodiversitätsprojekte und der Ausbau des Nahverkehrs finanziert. „Da wird jedes Projekt transparent einzeln ausgewiesen, wie viel CO2 damit eingespart wird“, sagt Meinhold. Auch erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind Felder, in die Verde investieren will.
Topthema für die Finanzbranche
Die Biologin und Ökonomin hatte das Unternehmen 2017 gegründet. Eigentümer ist eine Genossenschaft, die Verde eG. Mit der Fahrrad-Absicherung wurden erste Erfahrungen gesammelt.
Für die Versicherungslizenz sind nun mindestens 3,5 Millionen Euro Eigenkapital erforderlich. In einer zweiten Finanzierungsrunde sollen dafür nun auch externe Investoren wie zum Beispiel Family-Offices aufgenommen werden. „Wir wollen bis Ende September 25 Millionen Euro einwerben“, sagt Meinhold.
Der Zeitpunkt ist günstig. Durch die Gaskrise hat das Thema nachhaltige Energieversorgung weiter an Bedeutung gewonnen. Zudem müssen Makler ab Anfang August für erste Produkte die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abfragen.
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„Wir haben einen entscheidenden Startvorteil“, sagt Verde-Gründerin Meinhold. „Wir sind die Glaubwürdigsten, weil wir von Tag eins an nachhaltig investieren.“ Andere würden ihre Depots umschichten und es gehe bei ihnen oft nur darum, bestimmte Themen wie Kohlekraftwerke oder Streumunition auszuschließen. „Wir legen das Geld mit dem Ziel an, eine positive Wirkung zu erzielen.“
Wir sind die glaubwürdigsten, weil wir von Tag eins an nachhaltig investieren. Verde-Gründerin Marie-Luise Meinhold
Das Interesse an der Nachhaltigkeit ist in der Finanzbranche stark gestiegen. Es gehe nicht nur darum, das Vermögen der Investoren zu vermehren, sondern auch um eine „soziale Rendite – insbesondere mit Blick auf die globale Klimakrise“, sagte Dagmar Nixdorf, die mit der Nixdorf Kapital AG in Firmen investiert, die eine nachhaltig positive gesellschaftliche Wirkung entfalten.
Nach aktuellen Zahlen des Forums Nachhaltige Geldanlagen, das unter anderem von den deutschen Fondshäusern Union Investment und Deka unterstützt wird, liegt der Marktanteil nachhaltiger Fonds und Mandate hierzulande inzwischen bei 9,4 Prozent.
Auch klassische Versicherer setzen auf Nachhaltigkeit
Die Kurve zeigt stark nach oben. Die nachhaltigen Anlagen privater Investoren haben sich demnach 2021 auf 131 Milliarden Euro mehr als verdreifacht. Bei institutionellen Investoren zeigte sich ein Plus von 26 Prozent auf 233 Milliarden Euro.
Auch die klassischen Versicherer haben das Thema längst für sich entdeckt. Im vergangenen Jahr legte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht vor. „Rund 80 Prozent der direkt oder indirekt gehaltenen Kapitalanlagen werden bereits nach ESG-Kriterien angelegt“, sagte Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen.
Letztlich glauben wir, dass Nachhaltigkeit und Inklusion der beste Weg sind, unser Potenzial für Wachstum und Wertschöpfung zu realisieren. Allianz-Chef Oliver Bäte
Umwelt (Environment), Soziales (Social) und die gute Unternehmensführung (Governance) sollen also berücksichtigt werden. Laut Verband arbeiten zudem fast alle Versicherer mit Negativlisten: Rund 88 Prozent schließen zum Beispiel Kapitalanlagen rund um die Kohle aus.
Auch Branchenprimus Allianz hat die Nachhaltigkeit zum Unternehmensprinzip erklärt. „Letztlich glauben wir, dass Nachhaltigkeit und Inklusion der beste Weg sind, unser Potenzial für Wachstum und Wertschöpfung zu realisieren“, sagte Konzernchef Oliver Bäte. Die Allianz wolle „einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Zukunft für die Welt und die Gesellschaften, in denen wir leben und arbeiten“, leisten. Die Investments in diesem Bereich beziffert die Allianz auf 123 Milliarden Euro.
Verde will über die Geldanlage nach ESG-Kriterien hinausgehen. Im Sinne eines Impact-Investings achte man ganz konkret darauf, was mit den Investitionen tatsächlich finanziert wird, und lege das Ergebnis in allen Details auf der eigenen Webseite offen. Impact-Investing gelte „allgemein als eine der strengsten Methoden der nachhaltigen Geldanlage“, sagt Meinhold.
Finanzmarkt als Machtfaktor bei der ökologischen Transformation
Die Gründerin ist überzeugt, dass gerade die Versicherungen noch einen viel größeren Beitrag leisten können. Der Geld- und Finanzmarkt sei ein Machtfaktor, bei dem sich entscheiden werde, ob zum Beispiel die Transformation im Kampf gegen den Klimawandel gelinge. „Viele unterschätzen den Hebel“, sagte sie.
Zum Beispiel könne ein Investor 25 Millionen Euro direkt in die Erzeugung erneuerbarer Energien stecken. Bei einer Versicherung kämen zum selben Betrag noch einmal 100 Millionen Euro Kundengelder hinzu. „Dann kann man mit 125 Millionen Euro Gutes bewirken.“
Das Unternehmen hat eine „Wirkungsmatrix“ entwickelt, die helfen soll, Anlageobjekte zu finden, bei denen der größte Effekt erzielt werden kann. Die Rendite muss natürlich trotzdem stimmen. Doch haben Studien gezeigt, dass nachhaltige Anlagen oft sogar höhere Renditen abwerfen.
Auch bei den Preisen für die Versicherungsprodukte will Verde mit der Konkurrenz mithalten. „Wir werden nicht die Billigsten sein, aber auch nicht die Teuersten“, sagt Meinhold. Wenn die Produkte am Markt angenommen werden, will sie auf längere Sicht auch in den Markt der Lebens- und Krankenversicherungen einsteigen. Denn je höher die Prämieneinnahmen sind, desto größer ist der Hebel für die gesellschaftliche Wirkung.
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