Solvay-Chefin Ilham Kadri Diese Managerin steckt 20 Prozent vom Umsatz in die grüne Transformation – und erwartet mehr Rendite

Die 53-Jährige führt den belgischen Chemiekonzern seit 2019.
Düsseldorf Als die Chemikerin Ilham Kadri 2019 die Führung des belgischen Chemiekonzerns Solvay übernahm, war die Vorgabe klar: Nach jahrelanger Stagnation und mangelnder Vision sollte sie dem 1863 gegründeten Unternehmens eine Zukunftsperspektive geben. Im Frühjahr 2022 mündete dies in den bisherigen Höhepunkt: Solvay wird aufgespaltet und fokussiert sich auf Geschäfte, die auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz einzahlen.
So weit sind noch nicht viele gemischte Chemiekonzerne bisher gegangen. Doch für Kadri ist die Aufspaltung nur ein logischer Schritt: Die 53-Jährige trimmt Solvay seit ihrem Amtsantritt mit hohem Tempo auf grüne Transformation. Ihren Teams verordnete sie einen „unaufhaltsamen Ehrgeiz, Kohlenstoffneutralität und eine nachhaltigere Geschäftstätigkeit zu erreichen“, wie sie sagt.
Bereits 2020 konnte Solvay mit dem von Kadri entworfenen „One Planet“-Programm starten: Es hat neben mehr Klimaschutz auch Diversität zum Ziel hat. 36 Projekte zur Emissionsreduzierung wurden direkt begonnen. Mit ihnen sollen jährlich 2,4 Megatonnen CO2 eingespart werden.
Doch damit nicht genug: Ein Jahr nach dem Start schraubte Solvay die Ziele weiter hoch. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um 30 Prozent gesenkt werden. Die Klimaneutralität für das Jahr 2050 angepeilt.
Gut zwei Milliarden Euro will Solvay zum Erreichen dieses Ziels investieren. Das ist eine vergleichsweise große Summe für ein Unternehmen mit zehn Milliarden Euro Jahresumsatz. Entscheidend aber ist: Kadri hat den grünen Umbau von Beginn an als Chance und als „Business Case“ betrachtet – also als etwas, mit dem man gutes Geld verdienen kann.
Neues Unternehmen für Hochleistungskunststoffe
Die Investitionen in den grünen Umbau sollen laut Kadri sogar Renditen erzielen, die weit über den Kapitalkosten der Gruppe liegen. Damit die Projektausgaben in die gewünschte Richtung gehen, fließen die CO2-Kosten in die Renditeberechnungen ein und werden regelmäßig angepasst.
Stärkster Ausdruck des „Business Case“-Gedankens ist aber die nun geplante Aufspaltung. In ein neues Unternehmen werden Hochleistungskunststoffe und andere Werkstoffe für den Leichtbau von E-Autos, Flugzeugen und Medizintechnik eingebracht. Diese Materialien will der Konzern zunehmend aus nachwachsenden Rohstoffen und mit chemischem Recycling herstellen.
Das alles reicht der Solvay-Chefin aber noch nicht: Weil der Chemiekonzern auch ein führender Hersteller von Produkten für Lithium-Ionen-Batterien ist, soll dabei das größtmögliche Recycling ermöglicht werden. In das abgespaltene Unternehmen wechseln zudem die teilweise biobasierten Inhaltsstoffe für Nahrungs- und Konsumgüter. Beim alten Konzern verbleiben die energieintensiven Massengeschäfte mit Soda und anderen Stoffen.
Unter Investoren gilt es als ausgemacht, dass sich Kadri auf die Zukunftsgeschäfte konzentrieren wird. Vorerst stellt sie aber an alle Geschäftsbereiche die gleichen Anforderungen: Klimaschutz, Ressourcenschonung und besseres Leben sind ihre Ziele. Danach, so beschreibt sie, werde jeder Geschäftsbereich, jede Produktionsanlage ausgerichtet – und es soll mit wirtschaftlichem Wachstum einhergehen.
Sodawerke auf Biomasse umgerüstet
Deswegen werden auch die alten Geschäfte auf geringeren CO2-Ausstoß getrimmt. Der deutsche Standort Rheinberg, nördlich von Duisburg gelegen, soll 2025 das weltweit erste Sodawerk sein, das mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Es wird auf nachhaltige Biomasse umgerüstet.
Das riesige Sodawerk im französischen Dombasle bei Nancy soll ab 2024 mit primär aus Abfällen gewonnenen Brennstoffen betrieben werden. In den USA zählt Solvay zu den zehn größten Unternehmen, was die installierte Solarenergie betrifft.
Bei den Aktionären kommt der Kurs gut an, weil er mit wachsenden Umsätzen und Gewinnen einhergeht. 2021 steigerte der belgische Konzern den vergleichbaren, bereinigten Gewinn um 27 Prozent und kam auf eine Rendite von 20 Prozent.
Zum Vergleich: Deutsche Chemiekonzerne wie Lanxess und Evonik erreichten 2021 Margen von weniger als 16 Prozent.
„Kadri hat viel getan, um die Rentabilität zu fördern und der alten Tante Solvay einen agileren Touch zu geben“, heißt es in einer Analyse der Baader Bank. „Die Vorstandsvorsitzende hat im Unternehmen Wert gesehen, wo andere ihn nicht erkannten.“
Der gebürtigen Marokkanerin ist bewusst, dass sie es beim Thema Nachhaltigkeit nicht bei Worten belassen darf. Jüngst erlebte sie den Angriff eines Hedgefonds auf die Geschäftspraktiken von Solvay in Italien. Der Aktivistenfonds Bluebell Capital warf dem Unternehmen vor, zu große Mengen Abfallstoffe von einer italienischen Sodafabrik ins Meer zu leiten.
Zunächst hielt Solvay Bluebell Unkenntnis vor, weil es sich um natürlichen Kalkstein handele und alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten würden. Doch Anfang September beendete der Konzern den Streit und sicherte zu, die Einleitung von Abfällen in das Meer vor Italien zu reduzieren. Zudem sollen mit einer Investition von 15 Millionen Euro die dortigen Produktionsprozesse verbessert werden.
Mehr: Worauf man beim nachhaltigen Investieren achten sollte
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.