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Greentech Bier mit CO2 aus Zement – Mit diesen Innovationen soll der Baustoff klimafreundlich werden

Bei der Zement-Produktion entstehen gewaltige Mengen CO2. Doch es gibt Hoffnung: Unternehmen und Start-ups haben Innovationen entwickelt, mit denen sie den Klimakiller CO2-neutral machen wollen.
11.04.2023 - 15:09 Uhr 1 Kommentar
Auf die chemische Reaktion entfällt mit 60 Prozent der größte Teil der Emissionen.
Klimasünder Zement

Auf die chemische Reaktion entfällt mit 60 Prozent der größte Teil der Emissionen.

Düsseldorf Klimaexperten nennen ihn „die graue Gefahr“: Beton ist einer der schlimmsten Klimasünder. Fast acht Prozent der weltweiten Treibhausemissionen gehen auf die Herstellung des wichtigsten Bestandteils des Baustoffes zurück, den Zement. Die Emissionen sind höher als die der globalen Rechenleistung und des Flugverkehrs zusammen.

Doch auf den Baustoff lässt sich nicht verzichten. Jährlich werden weltweit 3,8 Milliarden Tonnen Zement verbaut. Mit dieser Menge ließe sich Deutschlands gesamte Infrastruktur etwa viermal bauen – jedes Jahr.

In der Produktion fallen dabei etwa 2,4 Milliarden Tonnen CO2 an. Und laut Daten des Thinktanks ACF Architects wird der globale Bedarf an Zement bis zum Jahr 2050 um 20 Prozent ansteigen.

Zement muss also schnellstmöglich klimaneutral werden, zumal rund 41 Prozent des Baustoffs in Infrastrukturprojekten genutzt werden. Unternehmen und Start-ups haben zu diesem Zweck Innovationen über den gesamten Wertschöpfungsprozess entwickelt, mit denen sie dem Klimawandel entgegenwirken wollen.

Das Bindemittel besteht aus Ton, Sand, Eisenerz und Kalkstein. Das Gemisch wird bei rund 1500 Grad Celsius zum für den Beton benötigten Zementklinker gebrannt. Auf die chemische Reaktion entfällt mit 60 Prozent der größte Teil der Emissionen, da gerade der Kalk bei der Verarbeitung viel gebundenes CO2 freisetzt. Auf die Energie für die Erhitzung entfallen 30 Prozent, der Betrieb der Anlagen trägt noch einmal zehn Prozent bei.

Hersteller Holcim setzt bei diesem Prozess an. Das Unternehmen will in einem seiner Zementwerke in Lägerdorf in Schleswig-Holstein den CO2-Ausstoß durch eine neue Ofentechnik jährlich um 1,2 Millionen Tonnen CO2 senken. „Die gesamte Dekarbonisierung unserer Industrie funktioniert nur, wenn ganz viele Akteure miteinander reden und Lösungen gemeinsam suchen“, erklärt Thorsten Hahn, Deutschlandchef von Holcim, dem Handelsblatt.

CO2 in Lebensmittelqualität

„Oxyfuel“ heißt das neue Verfahren, das im Ofen-Prototyp eingesetzt wird. Im Gegensatz zu üblichen Zementöfen soll er mit reinem Sauerstoff betrieben werden. „Gewöhnlich werden die Öfen mit Umgebungsluft betrieben“, erklärt Hahn.

In dieser gibt es jedoch neben Sauerstoff auch andere Gase, die später als Abgase aus dem Zementofen ausgeschieden werden. Der dafür benötigte Sauerstoff stammt aus Elektrolyse-Vorhaben, bei denen Industrieunternehmen Wasser mit Strom aus erneuerbaren Energien zu Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten.

„Bei der Zementherstellung mit reinem Sauerstoff wird auch das CO2 sehr rein und kann anschließend abgespalten sowie weiterverwendet werden“, so Hahn. Damit entweicht es nicht in die Atmosphäre.

Im letzten Schritt kann das CO2 etwa zu Methanol verarbeitet oder als Grundstoff für die chemische Industrie aufbereitet werden, um damit etwa Kunststoffe herzustellen. Es hat sogar Lebensmittelqualität – theoretisch könnte man es Sprudel oder Bier zusetzen.

Die Herstellung von Zement gilt als klimagefährend. Quelle: Moment/Getty Images
Betonbau

Die Herstellung von Zement gilt als klimagefährend.

(Foto: Moment/Getty Images)

Für die Aufbereitung des abgeschiedenen Kohlendioxids arbeitet Holcim nach eigenen Angaben mit Linde Engineering zusammen. In Betrieb gehen kann die Anlage erst 2029. Mit einer Genehmigung des Baus wird bis Ende 2024 gerechnet. Die EU fördert das klimaneutrale Zementwerk fast 110 Millionen Euro.

Die Methode, CO2 abzuspalten und für die weitere Verarbeitung zu speichern, nennt sich „Carbon Capture and Usage“ oder „Carbon Capture and Utilization“ (CCU). Der Rechtsrahmen dafür ist in Deutschland kompliziert: Die Abscheidung des CO2 regelt vor allem das Bundesimmissionsschutzgesetz, den Transport und die Speicherung das Kohlendioxid-Speicherungsgesetz. Dieses lässt seit 2012 die Erforschung der CO2-Speicherung nur in begrenztem Ausmaß zu.

Einen Ansatz, den Klimaschädling aus der Luft selbst in Baustoffe einzulagern, bietet das US-amerikanische Start-up Solidia Technologies. Anstelle von Wasser reagiert der Zement von Solidia mit CO2. Er bindet den Kohlenstoff, was den Baustoff Beton zusammenhält. Insgesamt kann Solidia damit den CO2-Fußabdruck um bis zu 70 Prozent reduzieren.

Mehr Grüne Ideen, die die Welt verändern könnten

Prominente Geldgeber glauben an das Vorhaben: Die Risikokapitalfirma Kleiner Perkins Caufield & Byers und der Chemieriese BASF sind beteiligt. Das US-Energieministerium hat dem Unternehmen außerdem 2022 eine Fördersumme von 2,1 Millionen US-Dollar für die Erprobung der klimafreundlichen Herstellung gewährt.

Eine weitere Möglichkeit, CO2 im Zement zu speichern, bietet sich über Recyclingverfahren. Hier wird Abbruchbeton zunächst zu Granulat zerkleinert und anschließend mit CO2 versetzt. Der Beton bindet das Kohlendioxid in den feinen Poren seiner Oberfläche – und die ist bei dem Granulat größer als in der Vorstufe. Das Granulat mit dem eingespeicherten CO2 wird der Produktionskette für frischen Beton zugeführt und ersetzt dort Sand und Kies.

Vorreiter in der Schweiz

Das ClimateTech-Unternehmen Neustark hat im vergangenen Jahr bereits sieben Anlagen in der Schweiz in Betrieb genommen, in denen Granulat hergestellt und mit CO2 versetzt wird. „In dieser Woche geht die achte Anlage des Unternehmens in Betrieb, die im Jahr mehr als 1000 Tonnen CO2 speichern kann“, erklärt die Sprecherin des Unternehmens. Weitere seien in Planung, unter anderem auch ein Langzeitprojekt mit einem Baustoffunternehmen in Berlin.

Viele Schweizer Unternehmen mischten ihrem Beton bereits 60 Prozent des Granulats bei – in Deutschland seien es durchschnittlich bloß zwei Prozent. Es gebe in der Schweiz, in Deutschland und europaweit viele Interessenten, heißt es von Neustark, aber letztlich sei es ein Auf und Ab.

Die Innovationen wären schneller und umfassender einsetzbar, gäbe es eine gute CO2-Infrastruktur, kritisiert ACF Architects. Neue Anlagen, die CO2 abspalten, erfordern beträchtliche Investitionen, um das CO2 abzuscheiden. Außerdem müsse die Infrastruktur für den Transport und die Lagerung des CO2 über die Anlage hinaus aufgebaut werden. Dies müsse eher von staatlicher Seite geschehen als von den Zementherstellern selbst.

Serie Diese grünen Ideen könnten die Welt verändern: Von Wellenkraftwerken, CO2-freiem Zement und Solaranlagen im Weltraum bis zu energiespendenden Algenarten – überall gibt es Ideen mit dem Potenzial, die Welt zu verändern. Nur wenige schaffen den Durchbruch. Wir stellen einige der interessantesten Innovationen vor. Wissenschaftlich begleitet wird die Serie von dem unabhängigen Thinktank Future Cleantech Architects.

Mehr: Klimaneutralität: Millionen Tonnen CO2 unter der Erde

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1 Kommentar zu "Greentech: Bier mit CO2 aus Zement – Mit diesen Innovationen soll der Baustoff klimafreundlich werden"

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  • Beim Erhitzen der nötigen Mineralien im Drehrohrofen wird, während der Zementherstellung - besonders aus dem mitverwendeten Kalkstein - das CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Beton kann aber später, im verbauten Zustand, wieder karbonisieren, also wieder CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen, sofern die Porenstruktur des Betons nicht zu dicht ist. Wenn man also nach Gebrauchsdauer eines Bauwerks den Beton vernünftig zerkleinert und das dabei entstandene Granulat anstelle von Kies oder Asphalt, als Deckschicht, auf Radwege usw. aufbringt, könnte man, aufgrund der vergrößerten Oberfläche der einzelnen Partikelchen, eine annähernd vollkommene Carbonisierung erreichen. D. h. das CO2, das bei der Herstellung aus dem Mineralstoffgemisch ausgetrieben worden ist, wird wieder aus der Atmosphäre zurückgeholt und gebunden, und zwar dauerhaft.

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