Nachhaltigkeit Rezession könnte den grünen Umbau der Chemieindustrie bremsen

Der weltgrößte Chemiekonzern hält an seinen Zielen zur CO2-Reduktion fest.
Düsseldorf Die deutschen Chemiehersteller halten an ihren Plänen für den grünen Umbau trotz der aktuellen Wirtschaftskrise grundsätzlich fest. Das zeigt eine Umfrage des Handelsblatts unter mehreren deutschen Chemieherstellern. Allerdings könnte die absehbare Rezession dazu führen, dass Projekte und Investitionen verschoben oder zeitlich gestreckt werden. Dies wird vor allem im Mittelstand erwartet, der von der Energiekrise besonders betroffen ist.
Viele Unternehmen aus der Chemie haben zuletzt ambitionierte Ziele für das Erreichen der Klimaneutralität festgelegt. Auf der Agenda steht die Umstellung auf grünen Strom sowie das Loslösen von fossilen Rohstoffen wie Öl und Gas.
Sie sollen durch wiedergewonnene Produkte aus Abfall und durch biologische Rohstoffe ersetzt werden. Im Kern geht es um die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft, in der wertvolles Material nicht entsorgt, sondern zurück in die Wertschöpfung gebracht wird.
„An unseren globalen Klimazielen hat sich nichts geändert“, heißt es etwa beim Branchenführer BASF. Die Ludwigshafener wollen bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 25 Prozent im Vergleich zu 2018 reduzieren. Damals lag der Ausstoß bei 22 Millionen Tonnen. Bis 2050 sollen Netto-Null-Emissionen erreicht werden.
Ähnlich äußern sich der Kunststoffhersteller Covestro und der Spezialchemiekonzern Lanxess. Man werde mit der „sehr angespannten wirtschaftlichen Situation voraussichtlich auf absehbare Zeit umgehen müssen“, kommentiert Covestro die aktuelle Lage. Die historischen Preissteigerungen für fossile Energieträger aber zeigten, dass die Umstellung auf grüne Energie und Kreislaufwirtschaft der richtige Weg sei. Die Leverkusener wollen bis 2035 klimaneutral werden und streben an, die Rohstoffbasis langfristig zu 100 Prozent auf erneuerbare Quellen umzustellen.
Doch für die Transformation sind in der Chemie riesige Investitionen nötig. Auf gut 45 Milliarden Euro schätzt der Branchenverband VCI die Summe, die für das Erreichen der Treibhausgas-Neutralität bis 2050 aufgebracht werden müsse. Das Gros davon fällt erst in den kommenden Jahren an. Doch jetzt legt die Branche mit den ersten großen Projekten die Grundsteine.
Die absehbare und möglicherweise scharfe Rezession im kommenden Jahr könnte dies durchkreuzen. Offen will dies kein Unternehmen so kommunizieren. Doch in Industriekreisen wird unterstrichen: Wenn Kosten in der Rezession gesenkt werden müssen, kommen alle Investitionen auf den Tisch – auch die für die grüne Transformation.
Dies erwarten auch Branchenexperten. „Die Chemiefirmen fürchten eine kräftige Rezession, vielerorts ist die Stimmung so tief wie 2008 zur Finanzkrise“, beobachtet Markus Mayer, Analyst der Baader Bank. „Die Unternehmen werden ihre Kräfte zusammenhalten und Projekte verschieben, um liquide zu bleiben.“ Die grüne Transformation bleibe sicher oben auf der Agenda, werde aber „tendenziell zunächst langsamer vorangehen.“
Erste Indikatoren zeigen dies bereits. Eine vergangene Woche veröffentlichte Umfrage der Beratungsgesellschaften KPMG unter 1325 CEOs weltweit ergab: Wegen der wirtschaftlichen Ungewissheit pausieren 50 Prozent ihre bestehenden oder geplanten ESG-Bemühungen in den nächsten sechs Monaten. 34 Prozent haben dies bereits getan. Mit ESG sind Kriterien für Umweltschutz (environmental), soziale Verantwortung (social) und gute Unternehmensführung (Governance) gemeint.
Kreislaufwirtschaft noch weit entfernt
Besonders die kleineren Unternehmen aus der Chemie sind in Bedrängnis. „Für den deutschen Mittelstand, insbesondere in den energieintensiven Branchen, wird die Anpassung an eine neue Energiewelt eine größere Herausforderung, an der manche Unternehmen scheitern werden“, prognostiziert die Deutsche Bank in einer aktuellen Studie.
Die großen Chemiekonzerne hingegen könnten „ihre Aktivitäten besser internationalisieren und Produktionsstandorte nach ihren individuellen Kosten- und Kundenstrukturen wählen“, heißt es darin weiter. Deswegen haben sie auch mehr Luft, ihre Projekte für den grünen Umbau vorerst voranzutreiben.
Präsentiert werden viele davon auf der in der kommenden Woche startenden Kunststoffmesse K22 in Düsseldorf. Der weltgrößte Branchentreff steht ganz im Zeichen der Kreislaufwirtschaft. Von einem funktionierenden Kreislauf ist die gesamte Wirtschaft noch weit entfernt: Nur knapp neun Prozent der eingesetzten Ressourcen werden wiederverwendet, hat die Non-Profit-Organisation Circle Economy ermittelt.
Der Rest folgt dem bisherigen Prinzip: „Nehmen, herstellen, verwenden, entsorgen“. Entscheidend für den Wandel wird besseres Recycling sein. Die Quote beim Kunststoffrecycling lag in Europa jahrelang bei nur 15 Prozent, ist aber zuletzt gestiegen. 2021 wurden rund 21 Prozent der Kunststoffmenge von 36 Millionen Tonnen wiederverwendet, ermittelte die Beratungsgesellschaft AMI.
Dies ist über stärkeres mechanisches Recyceln gelungen, also das Sammeln und Einschmelzen zu neuem Kunststoffgranulat. Doch dieses Verfahren ist begrenzt. Die meisten Kunststoffe sind vermischt und können nur über neuartiges chemisches Recycling in hochreine Ausgangsstoffe getrennt werden, die dann wiederverwendet werden können.
Solche Verfahren sind wichtig für den Durchbruch zur Kreislaufwirtschaft, und alle großen Chemiehersteller arbeiten daran. Die Essener Evonik entwickelt Technologien zur Aufbereitung stark verschmutzter PET-Verpackungen. BASF stellt auf der K22 ebenfalls ein Verfahren dafür vor und entwickelt ein besseres Recycling von Batterien für Elektroautos. Covestro und BASF arbeiten an einer Technologie für das chemische Trennen von Matratzenschäumen in Grundstoffe von hoher Qualität.
Rohstoffe aus Altöl und Biomasse
Zweiter wichtiger Hebel für die grüne Transformation in der Chemie sind erneuerbare Rohstoffe. Der Weg dorthin ist weit: Bei Covestro etwa entstehen heute mehr als 90 Prozent der Kunststoffmengen auf Basis von Öl und Gas. Zuletzt hat der Konzern zahlreiche Verträge mit Lieferanten abgeschlossen, die wichtige Chemikalien aus Abfällen aus Altöl, Altfetten oder aus Biomasse gewinnen.
Das sind erste Projekte, die in den nächsten Jahren auf höhere Mengen skaliert werden sollen. Die Ambitionen sind groß: So will die Kölner Lanxess AG ihren Einkauf schrittweise auf erneuerbare Rohstoffe umstellen und so den CO2-Fußabdruck aus Vorprodukten bis 2030 um 40 Prozent senken. Dabei handelt es sich um die sogenannten Scope-3-Emissionen, die bei den Lieferanten entstehen und in die CO2-Bilanz der Chemiefirmen einfließen.
Für die gesamte grüne Transformation in der Chemie gilt: Es werden riesige Mengen an grünem Strom benötigt – sei es für die Umstellung der Produktion von Gas- auf Strombetrieb oder für das energieintensive chemische Recycling. Große Konzern wie BASF und Covestro sichern sich deswegen bereits jetzt die Kapazitäten von Windparkbetreibern weltweit oder beteiligen sich selbst am Bau der riesigen Parks.
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