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Premium Energiepreise Industrie Deutsche Chemie- und Pharmafirmen zieht es in die USA

Die Industrie entdeckt Nordamerika wieder, auch weil der Standort China unsicherer wird. Fünf Faktoren sprechen für die USA – und gegen Deutschland.
08.12.2022 - 14:37 Uhr 9 Kommentare
Die deutsche Chemiebranche orientiert sich westwärts. Quelle: BASF SE
BASF-Werk in den USA

Die deutsche Chemiebranche orientiert sich westwärts.

(Foto: BASF SE)

Düsseldorf, New York Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie verlegt ihre Pläne für weiteres Wachstum verstärkt in die USA. Das zeigen die jüngsten Investitionsankündigungen sowie Einschätzungen vom Handelsblatt befragter Firmen. Ein Grund: Die energieintensive Branche lockt das billigere Gas. Doch die Lage ist vielschichtiger.

Als weitere Gründe nennen Chemieunternehmen die stabile US-Wirtschaft sowie das staatlich geförderte Erstarken der amerikanischen Industrie. „Wenn Unternehmen eine Region mit üppigen Energievorkommen zu günstigen Preisen, mit stabilen Rahmenbedingungen und wenig Bürokratie suchen, dann sind die USA der Ort der Wahl für Investitionen“, sagt Antonis Papadourakis, Amerikachef des Kölner Chemiekonzerns Lanxess.

Mit der Neuorientierung gen Westen reagieren die deutschen Firmen zudem auf Befürchtungen, dass sich China zum unsicheren Standort entwickeln könnte. „Wir sehen derzeit eine deutliche Verschiebung in der Bewertung von Standorten und Lieferketten. Die USA werden als positiver und als relativ verlässlicher Handelspartner angesehen“, beobachtet Andreas Eggert, Healthcare-&-Life-Sciences-Experte bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman.

Energiepreise in der Industrie: Nordamerika als wichtigste Wachstumsregion

Zwar haben die Direktinvestitionen deutscher Chemie- und Pharmafirmen in den USA 2020 durch Corona an Volumen eingebüßt. Doch in den Investitionsplänen der Firmen ist der Schwenk erkennbar. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) wollen fast 40 Prozent der deutschen Unternehmen in den kommenden Monaten höhere Investitionen in den USA tätigen.

In Europa halten sie sich hingegen wegen des trüben Konjunkturausblicks und der Energiepreisbelastungen zurück. Die Entwicklung zeigt sich exemplarisch bei Lanxess. Der Chemiekonzern hat seit 2017 rund fünf Milliarden Euro in Wachstum und Übernahmen investiert. Gut 80 Prozent davon flossen in die USA. „Nordamerika ist die wichtigste Wachstumsregion für Lanxess“, sagt Papadourakis.

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Lanxess-CEO Matthias Zachert macht keinen Hehl daraus, dass dies so bleiben wird. Mit Blick auf die hohen Energiepreise wird der Konzern vorerst keine Erweiterungsinvestitionen an deutschen Standorten tätigen. Weiteres Geld für die Expansion wird vor allem nach Nordamerika fließen.

BASF wiederum hat im Sommer die finale Erweiterung der Kunststoffproduktion im Süden der USA beschlossen. 780 Millionen Euro steckt der Dax-Konzern in neue Kapazitäten für MDI, ein Vorprodukt für harte Schaumplatten. Diese werden zur Isolierung von Gebäuden und für leichte Materialien im Autobau verwendet. Für den wichtigsten deutschen Standort Ludwigshafen verkündete der Konzern wenig später ein Sparprogramm.

Aktuell wagt der Essener Chemiehändler Brenntag einen kräftigen Vorstoß in die USA. Der Weltmarktführer verhandelt mit der Nummer zwei der Branche, Univar, über eine Fusion. Die Übernahme der US-Firma könnte Brenntag laut Analystenschätzungen bis zu neun Milliarden Euro kosten. Doch das deutsche Unternehmen würde damit zum größten Chemiehändler Nordamerikas.

Fünf Faktoren machen die USA derzeit für die Chemie- und Pharmafirmen attraktiver als den Heimatmarkt.

1. Die US-Wirtschaft ist robuster als die europäische

Zwar hat sich auch in den USA die konjunkturelle Lage wegen der Folgen des Ukrainekriegs und der Coronapandemie verschlechtert. Doch kommen die USA damit besser zurecht.

Der Chemieverband American Chemistry Council rechnet trotz aller Widrigkeiten aktuell mit einem Produktionsplus von vier Prozent in diesem Jahr. In Deutschland erwartet der Verband der Chemischen Industrie einen Rückgang der Chemieproduktion von 8,5 Prozent.

„Selbst wenn sich die Konjunktur etwas verlangsamt, gehen wir davon aus, dass Nordamerika ein starker Markt bleibt“, sagt Bonnie Tully, US-Chefin des Spezialchemie-Konzerns Evonik. „Wir rechnen nicht mit einer schweren Rezession hier.“

Evonik investiert aktuell an drei Orten in den USA. Dazu gehört ein neues Werk im US-Bundesstaat Indiana, wo der Konzern für 220 Millionen Euro eine neue Anlage für die Produktion von Lipiden für mRNA-Therapien baut. Die Essener schauen sich in Amerika auch Übernahmeziele an.

2. Energiekosten sind in den USA deutlich niedriger

Tully sieht den US-Standort wegen der billigeren Energie im Vorteil. „Auch unsere Fabrikleiter dort beschweren sich über höhere Energiekosten. Es bedeutet Druck aufs Budget, aber nicht, dass sie die Fabrik schließen müssen.“ In Deutschland mussten Chemiefirmen in den gasintensiven Segmenten die Produktion drosseln oder ganz herunterfahren.

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Der Vergleich ist markant: In Europa war Gas im Oktober 2022 achtmal teurer als im Vergleichsmonat des Jahres 2019. In den USA hat sich der Preis in diesem Zeitraum lediglich verdoppelt. Deutsche Chemieunternehmen rechnen mit einem Preisniveau, das dauerhaft deutlich über dem der USA liegen wird. Laut der DIHK-Umfrage sehen 57 Prozent der Unternehmen in der Euro-Zone in hohen Energiepreisen ein Geschäftsrisiko. In den USA sind es lediglich 22 Prozent.

3. Chancen für grüne Technologie in den USA

Die jüngsten Gesetzespakete der Biden-Regierung zur grünen Transformation dürften die Nachfrage weiter anfeuern. „Gerade die grünen und nachhaltigen Industrien werden von dem jüngsten Inflation Reduction Act gefördert“, erläutert Iris Herrmann, Chemieexpertin bei Oliver Wyman. Weil die deutsche Chemie mit ihrer Ausrichtung auf innovative Spezialprodukte bei der grünen Technologie führend ist, ergeben sich zahlreiche Chancen.

„Die USA haben das Thema Nachhaltigkeit in der Vergangenheit vernachlässigt“, sagt Evonik-US-Chefin Tully. „Aber jetzt setzen sie sich ernsthaft mit dem Thema auseinander.“ Die Essener wollen etwa mit Beschichtungen für Windturbinen bis zu Chemikalien für E-Auto-Batterien und leichten Reifen punkten.

4. Konsequenz aus „Buy American“ und wackeligen Lieferketten

Die US-Regierung macht das Land gezielt zum Zielort für ausländische Chemieunternehmen. Industriepolitische Programme wie der Inflation Reduction Act und das Infrastrukturprojekt sind an Bedingungen geknüpft: Subventionen und Steueranreize gibt es bisher nur für Firmen, die in den USA produzieren.

Dieser „Buy American“-Ansatz ist für die mittelständischen Firmen problematisch, die von Deutschland aus in die USA exportieren. Konzerne wie BASF, Covestro und Evonik hingegen produzieren schon seit Langem vor Ort. Die Nähe zum Kunden gilt als wichtiges Argument dafür – inzwischen aber geht es um mehr.

>> Lesen Sie auch: BASF-Chef Martin Brudermüller fürchtet um Europas Wettbewerbsfähigkeit

„Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass wir im Falle eines Handelskriegs oder eines echten Kriegs in unserer geografischen Sphäre weiter unser Geschäft ausüben können“, sagt Evonik-Managerin Tully. Die Industriefirmen setzen auf stabile lokale Lieferketten und wollen selbst lieferfähig bleiben.

Deswegen seien die USA auch für deutsche Arzneihersteller heute attraktiver als noch vor drei Jahren, wie Pharmaexperte Eggert beobachtet. „Wir leben in einer neuen Welt. Und dort sind sichere Lieferketten vor Ort genauso wichtig wie gute Forschung und Entwicklung.“ Beides würden die USA bieten. Eggert erwartet, dass auch in der Pharmabranche die Abwanderung gen Westen droht.

5. Weniger Regulierung und Bürokratie

Der Darmstädter Pharmakonzern Merck kündigte jüngst den Ausbau seines Laborgeschäfts in den USA an. Mehr als 290 Millionen Euro werden in den Standort Rockville im US-Bundesstaat Maryland gesteckt, wo etwa potenzielle Medikamente auf Biosicherheit geprüft werden.

Die Umsetzung dieses Projekts wird vom Bundesstaat Maryland und dem lokalen Montgomery County gefördert und unterstützt – ebenfalls typisch für die USA. „Es ist dort einfacher, Fabriken zu bauen und Genehmigungen zu bekommen“, sagt Berater Eggert.

In Deutschland hingegen moniert etwa der Chemieverband VCI die noch immer ausgeprägte Bürokratie und die zunehmende Regulierung durch die EU, die den Firmen neue Belastungen bringe.

Mehr: Bidens „Buy American“-Offensive ist ein notwendiger Weckruf für Europa

Erstpublikation: 07.12.22, 10:21 Uhr.

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9 Kommentare zu "Energiepreise Industrie: Deutsche Chemie- und Pharmafirmen zieht es in die USA"

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  • @Frank Beeger
    Genau, Importzölle, damit die für den verbleibenden Rest an Industrie notwendigen chemischen Vorprodukte gar nicht oder nur zu horrenden Preisen verfügbar sind - der letzte Sargnagel am Industriestandort EU.

  • Die EU kann auch diesen US-Angriff abwehren, und zwar mit Importzöllen von 500 %.

  • Es scheint, als würde Deutschland eine Klasse überspringen wollen: von einem Erste Welt Land auf in die Dritte Welt. Powered by USA, bedanken können wir uns bei Joe.

  • Die Industrie hat sich schon immer dort angesiedelt, wo günstige Energie verfügbar war. Das begann schon im 19. Jahrhundert in GB. Handweberei wurde durch wasserbetriebene Webstühle (Mills) abgelöst, dann durch dampfmaschinenbetriebene (Kohle). Die Industrialisierung des Ruhrgebietes wäre ohne Kohle nicht denkbar gewesen. Aktuell koppeln wir uns von der Energieversorgung mehr und mehr ab. Russland darf nicht mehr liefern, Atomkraft Nein Danke. Flüssiges Erdgas ist viel zu teuer. Wer kann an einem Tag wie heute seine Wärmepumpe mit seiner Fotovoltaik-Anlage betreiben, oder sein E-Auto laden? Wind weht bei uns auch keiner. Offensichtlich soll bei uns die De-carbonisierung durch De-industrialisierung erreicht werden. Unsere politischen Spitzen in Brüssel und Berlin werden das mit aller Gewalt durchdrücken. Und das wird schneller gehen als wir denken.

  • Danke an die Grünen und die SPD, Note 1 und was die ausgezeichnet können ist es, Geld zu verteilen, Flüchtlinge aus aller Herren Länder kommen zu lassen und zu alimentieren, Leistungsprinzip abzuschaffen, die Mittelschicht abzukassieen. Hunderte Milliarden Schulden zu machen und Nebensächlichkeiten tot zu diskutieren.

    Auf das wichtigste - und die Basis von allem, nämlich den Industriestandort zu sichern, Arbeitsplätze zu schaffen, dazu fällit den Herrschaften nicht viel ein.

  • Es ist doch aber auch so, daß diese Firmen ihre Produkte auch in die EU verkaufen wollen. Dieses geht dann eben nicht mehr. Es sollten die Firmen massiv unterstützt werden, die auch in der EU produzieren.

  • .... wer mag, kann gerne meine "alten Kommentare" vom Februar lesen - der Krieg bevorteilt massiv die USA. Die Bürokratie, die hohen Steuern, Abgaben, Umlagen motivieren die Unternehmen Deutschland und die EU zu verlassen.
    Wer ideologisch auf Klimawandel setzt, bekommt den Klimawandel: Die USA produziert fleißig - die EU und Deutschland nicht, obwohl sie Energie effizienter und CO2 reduziert produzieren - schon in den letzten Jahren, da Energie eh schon teuer war.
    Wer übertreibt mit Steuern und Bürokratie, bekommt die Rechnung.
    Private wird es ebenso wenig in der EU halten - Warum sollte man in der EU oder Deutschland leben und ständig gegängelt werden?
    Mir hat mein Versorger "Informationen zu Energiesparmaßnahmen" geschickt! Werde ich jetzt auch noch bevormundet?

  • und nicht zu vergessen - niedrigere Steuern und Abgaben für Untermehmen und Mitarbeiter.
    Wie der CEO von Lanxess, M. Zachert, neulich in einem Interview sagte, dass er nicht mehr in Standorte in Deutschland investiert - insbesondere keine neuen Standorte - müßten im Wirtschaftsministerium eigentlich alle Lampen rot gebrannt haben. Aber da glaubt man wohl, das wäre Energiewendestrom......

  • Und Lieferkettengesetze u.ä. aus der EU-Bürokratie werden zukünftig auch andere Branchen in die USA treiben.

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