Ex-Kuka-Chef Reuter im Interview: Raus aus Abhängigkeit - vor allem von China
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InterviewEx-Kuka-Chef Till Reuter: „Die Zeit des Wachsens, Wachsens, Wachsens ist definitiv vorbei“
Der Topmanager hat bereits intensive Erfahrung mit geopolitischen Einflüssen gesammelt. Angesichts von Krieg und Pandemie fordert er ein Umdenken bei Unternehmen.
Der frühere Kuka-Chef ist jetzt als Start-up-Investor und Aufsichtsrat bei Müllermilch tätig.
(Foto: Photothek/Getty Images)
Berlin, Zürich Der Ukrainekrieg hat aus Unternehmen Spieler und Spielbälle der Geopolitik gemacht. Till Reuter kennt das schon. Als der heutige Aufsichtsrat bei Müllermilch noch Chef des Roboterbauers Kuka war, hat sich die Bundesregierung vehement eingemischt. Berlin wollte 2016 verhindern, dass bei dem deutschen Hochtechnologie-Unternehmen ein chinesischer Investor einsteigt.
Heute äußert sich Reuter differenziert zu geopolitischen Einflüssen: „Permanente staatliche Interventionen“ hält er für falsch. Doch in Zeiten des Kriegs sei es an der Politik, „Richtung und Grenzen“ für das zu bestimmen, was Unternehmen noch dürfen und was nicht, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt.
Reuter fordert, Deutschland sofort unabhängiger von Zulieferern aus bestimmten Regionen zu machen: „Wir müssen auf allen Ebenen Abhängigkeiten reduzieren – vor allem auch mit Blick auf China.“
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Reuter, der Krieg in der Ukraine hat viele Unternehmen zu geopolitischen Akteuren gemacht. Muss ein Topmanager in einem solchen Konflikt das Russlandgeschäft einstellen, oder ist er weiter zuerst seinen Mitarbeitern verpflichtet? In solchen Ausnahmesituationen kann neben dem Wertekanon des Westens nur das Primat der Politik als Maßstab zählen. Die Bundesregierung gibt Richtung und Grenzen vor. Der Krieg ist eine einzige schreckliche Katastrophe, dahinter müssen auch alle wirtschaftlichen Eigeninteressen und Überlegungen verschwinden.
Tatsächlich alle? Nicht mal die Politik kann gerade alle Verbindungen kappen, weil Deutschland von russischem Gas abhängig ist. Wie konnte es so weit kommen? In den vergangenen zehn Jahren hat sich eine Entwicklung beschleunigt, die heute naiv erscheint. Geld hatte zuletzt aufgrund der Nullzinsen keine Kosten, militärische Sicherheit keinen Preis mehr. Dazu kamen die brutal auf Effizienz getrimmten Lieferketten.
Container im Hafen von Schanghai
„Jeder CEO sollte sofort und intensiv daran arbeiten, sein Unternehmen widerstandsfähiger gegen geopolitische Krisen zu machen.“
Und heute wissen es Politik und Wirtschaft besser? Heute ist den meisten klar: Diese Reise ist zu Ende. Die Politik „Wandel durch Handel“ und der von Angela Merkel daraus abgeleitete Konvergenzkurs müssen grundlegend überdacht werden.
Sie glauben an einen Wendepunkt der Globalisierung? Dieser Wendepunkt war schon vor etwa zwei Jahren erreicht. Die Pandemie hat die zu starken Abhängigkeiten sichtbar gemacht. Die Zeit des Wachsens, Wachsens, Wachsens ist definitiv vorbei. Wir müssen auf allen Ebenen Abhängigkeiten reduzieren – vor allem auch mit Blick auf China.
Was bedeutet das konkret für die Unternehmen? Nationale Sicherheit wird wieder teurer, Lieferketten müssen komplett neu gedacht werden. Jeder CEO sollte sofort und intensiv daran arbeiten, sein Unternehmen widerstandsfähiger gegen geopolitische Krisen zu machen.
Das heißt, Firmenchefs müssen im Zweifel auf Chancen verzichten, wenn diese in neue Abhängigkeiten führen können? Exakt, wobei sich das leichter sagen als umsetzen lässt. Als CEO bleibt es weiter die erste Pflicht, ökonomisch Gewinne zu erzielen, die Marktposition des eigenen Unternehmens und die Arbeitsplätze zu sichern.
Wo ziehen Sie dann die roten Linien? Wir haben es bei den Effizienzgewinnen in der Vergangenheit so manches Mal eindeutig übertrieben. Wir sind zu unbedacht einseitige Lieferabhängigkeiten eingegangen. Bei den Zulieferern haben wir uns beispielsweise auf zu wenige Länder und Regionen ausgerichtet. Diese haben wir zwar ökonomisch analysiert, aber zu wenig auf politische Risiken geachtet.
Vita Till Reuter
Der Betriebswirtschaftler und Jurist arbeitete zunächst für Morgan Stanley, die Deutsche Bank und Lehman Brothers. Von 2009 bis 2018 stand er an der Spitze des Roboterbauers Kuka und machte aus dem Sanierungsfall ein Filetstück der Industrie 4.0. 2016 übernahm der chinesische Hausgerätehersteller Midea das Unternehmen für mehr als drei Milliarden Euro. Von September 2019 bis Ende 2021 leitete Reuter den Aufsichtsrat des Molkereikonzerns Müllermilch.
Aus der 1896 im bayerischen Aretsried gegründeten Molkerei machte Theo Müller, Enkel von Unternehmensgründer Ludwig Müller, einen weltweit tätigen Lebensmittelkonzern. 2021 erzielte Müllermilch mit 31.700 Mitarbeitern laut vorläufigen Zahlen einen Umsatz von sieben Milliarden Euro. Seit Anfang des Jahres leitet Stefan Müller, ältester Sohn von Haupteigentümer Theo Müller, den Aufsichtsrat.
Als Aufsichtsrat bei Müllermilch haben Sie die jüngsten geopolitischen Entscheidungen nicht betroffen. Die Firma hat kein Russlandgeschäft. Dafür hat sich die Regierung eingemischt, als Sie Chef beim Industrieroboterbauer Kuka waren. 2016 wollte Berlin dort den Einstieg des chinesischen Investors Midea verhindern. Wie beurteilen Sie den – letztlich vergeblichen – Versuch heute? Damals war die geopolitische Gesamtlage eine komplett andere. Ja, es gab schon damals einen scharfen Wettbewerb zwischen den drei großen Regionen Nordamerika, Europa und Asien. Aber die Betonung lag auf „Wettbewerb“.
Und heute? Wird mit Unternehmen Wirtschaftskrieg betrieben? Die Bandagen, mit denen gekämpft wird, sind härter geworden, ohne dass ich gleich von „Wirtschaftskrieg“ sprechen will. Selbst die westliche Politik, die die Unternehmen im Rahmen einer marktwirtschaftlichen Ordnung relativ frei hat agieren lassen, betreibt eine Renationalisierung der Außenwirtschaftspolitik. Sie steuert die Wirtschaft mit einer stärkeren Industriepolitik.
„Wir sollten gar nicht erst versuchen, in allen Gebieten mitzuspielen“
Im Fall Kuka hat Berlin den Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie nach China befürchtet. Zu Unrecht? Dass sich der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Fall Kuka genauer angeschaut hat, fand ich richtig. Das gilt auch für sein Interesse, dass die Robotik in Europa und Deutschland verbleibt. Zugleich bin und bleibe ich liberaler Marktwirtschaftler und halte permanente staatliche Interventionen für falsch.
Hat Europa global überhaupt eine Chance, auf Augenhöhe mit den oft als aggressiv empfundenen amerikanischen und chinesischen Tech-Konzernen zu konkurrieren? In einzelnen Feldern ist das sicher möglich. Wir müssen uns allerdings konzentrieren und sollten gar nicht erst versuchen, in allen Gebieten mitzuspielen.
Für welche Spitzentechnologien würden Sie die begrenzten Ressourcen einsetzen? Sicher nicht für die Eroberung des Weltalls und auch nicht für die großen Plattformtechnologien. Da ist der Rückstand viel zu groß. Anders sieht es in der vernetzten Produktion und Robotik aus, generell bei allen Anwendungen zur Verbesserung der industriellen Produktionssteuerung. Da gibt es schon etliche hervorragende Unternehmen, alte wie neue. Sie werden Deutschland und Europa mit ihrer Technologie und Software dabei helfen, an der Spitze zu bleiben.
Kuka-Roboter im Einsatz bei Porsche
„Forschung und Entwicklung bei Kuka haben weiter einen Schwerpunkt in Deutschland.“
Nach dem Einstieg der Chinesen haben Sie selbst Kuka und die Spitzentechnologie recht schnell verlassen. Warum? Zu Kuka halte ich mich prinzipiell zurück. Aber um Legenden vorzubeugen: Das Managementteam hat über viele Jahre Kuka geprägt und zum führenden europäischen Anbieter in der Industrierobotik entwickelt. Wir bekamen Beifall von allen Seiten, unsere damaligen Großaktionäre wie die Voith-Gruppe und Friedhelm Loh waren eng eingebunden. Und dann war da ein neuer Investor, der den ökonomischen, aber auch strategischen Wert von Kuka erkannt hat und dem plötzlich 95 Prozent der Anteile gehörten...
…und der Ihre Leistung ganz anders beurteilt hat? Ein damaliger Geschäftspartner, der ehemalige Fiat-Chef Sergio Marchionne, hat mir gleich prophezeit: „Ich gebe dir da noch zwei Jahre.“ So ist es gekommen, und das entspricht dem Vorgehen bei vielen Übernahmen: Der alte Chef managt noch die Integration. Dann ist es das Recht eines neuen Mehrheitsgesellschafters, sein Unternehmen neu auszurichten.
„Die deutsche Politik sollte sich mehr um Start-ups kümmern als um Börsen-Dinos“
Und im Ergebnis ist diese Technologie nun fast aus Deutschland verschwunden? So weit würde ich nicht gehen. Forschung und Entwicklung bei Kuka haben weiter einen Schwerpunkt in Deutschland. Und es gibt immer noch starke Unternehmen hierzulande in der Robotik.
Inzwischen engagieren Sie sich als Start-up-Investor. Sie sind am Softwarehersteller Spread beteiligt, am Küchenroboterbauer Aitme und dem Antriebstechnikanbieter Synapticon. Was motiviert Sie dazu? Es ist beeindruckend zu sehen, was für ein unternehmerischer Geist in den jungen Gründern hier in Deutschland steckt. Anstatt sich auf die Börsen-Dinos, insbesondere die Dax-Unternehmen, zu konzentrieren, sollte die deutsche Politik sich mehr um diese Unternehmen und deren Rahmenbedingungen kümmern. Viele gute neue Geschäftsmodelle werden sonst von US-Investoren nach Amerika geholt.
Ende Juni scheiden Sie aus dem Aufsichtsrat bei Müllermilch aus. Mit Stefan Müller hat bereits ein Familienvertreter den Vorsitz übernommen. Warum verlassen Sie Müller nun gänzlich? Zu der Personalentscheidung bei Müllermilch möchte ich mich nicht äußern. Zu meinen bisherigen fünf Investments könnten künftig aber noch fünf weitere kommen. Mehr allerdings nicht, weil ich die Gründerteams ja auch beraten will.
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